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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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HÖREN SIE MIR ÜBERHAUPT ZU?«
    Hieber ließ ihn los. Der Mann bewegte sich nicht. Als sie zur Tür gingen, schrie er: »FLINTENWEIB, DÄMLICHE KUH, SCHEIß-DIKTATUR.«

30
    Vor der Kneipe blieben sie stehen. Hieber nahm seine Mütze ab, strich sich das Haar glatt und setzte sie wieder auf. Morgens hatte seine Frau ihn gefragt, ob es schlimm sei zur Zeit, nichts weiter. Nicht, was bei den letzten Einsätzen passiert war, nur, ob es schlimm sei. Hieber hatte geantwortet, es sei wie immer.
    Jetzt sagte er: »Sie, Frau Henkel, das war eine Beleidigung.« Vor ihnen die Hochhäuser. Satellitenschüsseln klebten an den Fassaden, naß vom letzten Regen. Aufgemalte Hausnummern auf grauem Beton, Wäschestangen auf einem Stückchen Grün und vor einem Sandkasten eine Bank ohne Rückenlehne. Die Henkel, fand Hieber, starrte hin, als sehe sie Gespenster. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, murmelte: »Massengräber. Hier liegen vielleicht noch ein paar – was meinen Sie? Wieso Beleidigung?«
    »Ehm – Flintenweib.« Hieber seufzte. »Und so weiter.«
    Sie setzte eine Sonnenbrille auf. »Manchmal meint jeder zweite Arsch, er müßte mit Worten um sich schmeißen. Bei der Sitte war das aber schlimmer. Wissen Sie, wie oft ich mir Bullenhure anhören mußte?«
    »Nein«, sagte Hieber. »Das heißt, ich kann es mir vorstellen. Das heißt, andererseits kann ich es mir natürlich nicht vorstellen, hm.«
    »Bei der Sitte«, sagte sie wieder. »Hört man dann irgendwann nicht mehr.«
    »So einer braucht Geld für sein Geklimper.« Mit dem Daumen deutete Hieber zurück auf die Kneipe. »Ist doch wie bei den Junkies.«
    »Aber es ist ja nichts geklaut worden. Und es lag alles offen herum, Geld, EC-Karte, weiß der Teufel. So was war es nicht.«
    Hieber mochte sich nicht vorstellen, was es gewesen war. Er sagte: »Ich hab da noch einen Nachbarn. Achtzehnter Stock in der Neunzehn, der hat auch ein paar unklare Erinnerungen. Ich hab ihm gesagt, Sie kämen noch mal mit oder der Herr Stocker, aber der ist ja« – er sah sich suchend um – »irgendwo da in den Häusern.«
    »Unklare Erinnerungen, ja.« Sie legte den Kopf in den Nacken. »Jetzt hat er vielleicht mit der Bischof in der Kneipe gehockt. Vor drei Monaten ist er gestorben, da hat sie noch gelebt. Sie hat ihn nicht vermißt, oder? Nirgends ist ’ne Anzeige eingegangen, nichts.«
    Hieber nahm das Foto Frieds, das er nun schon seit Stunden herumzeigte, und polierte es mit einem Ärmel blank. Er hatte es sich lange angesehen, und es war ein komisches Gefühl gewesen, quasi ein Spleen, er hatte immer wieder draufgucken müssen. Ständig hatte er den stämmigen blonden Mann auf dem Foto mit dem Leichenfund verglichen, den Menschen mit dem Bündel, und obwohl er nicht mehr daran denken wollte, ging es ihm doch immerzu im Kopf herum. Das wurde immer ärger, je länger er das Foto herumzeigte, je mehr Leute sagten: »Keine Ahnung. Nie gesehen.« Jetzt hatte er die komische Idee, daß Martin Fried in seiner Wohnung begraben war, so oder so, vorher lebendig und hinterher tot. Daß es kein großer Unterschied gewesen war und daß das Leben manchmal böse spielte.
    Ein Sonnenstrahl spiegelte sich in einer Pfütze, beleuchtete die ausgetretenen Kippen darin wie kleine Objekte.
    »Wie viele Dienstjahre haben Sie schon?« fragte die Henkel.
    Hieber hatte das Gefühl, als schwanke sie ein bißchen, obwohl sie heute gar nicht diese Stöckelschuhe trug. Ganz normale, flache Schuhe. Er lächelte, was sie nicht sah. »Sechsundzwanzig.«
    Sie blieb stehen und strich sich das Haar aus der Stirn, eine langsame Bewegung von unten nach oben, als sei alles ermüdend und schwer. »Haben Sie schon mal – davon geträumt? Von dem ganzen Zeug, das sie sehen?« Sie hob die Arme und ließ sie wieder fallen wie ein verletzter Vogel, der fliegen wollte.
    »Alpträume«, sagte Hieber und sah an ihrem Gesichtsausdruck, daß er besser etwas anderes gesagt hätte, schlechte Träume vielleicht, etwas, das gesünder klang, normaler.
    »Blödsinn«, sagte sie. »Bei Alpträumen laufen Mäuse über die Decke, Spinnen, das bildet man sich dann ein. Das meine ich nicht.«
    »Was meinen Sie denn?« fragte Hieber.
    »Egal«, sagte sie. »Der Stocker hat das Auto.«
    Hieber suchte den Zusammenhang.
    Sie sah sich um. »Sonst fährt der nie, aber um von Haus zu Haus zu kommen, muß er hinters Steuer, ich faß das nicht. Ich muß ihn auch bald zurückgeben.«
    »Den Herrn Stocker?« Hieber lächelte und freute sich, daß

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