Mina (German Edition)

niemandem ansieht, was für ein Mensch er ist.“
    „Genau das denke ich auch. Man weiß es nie.“
    Schweigend fuhr er weiter.
    „Sie hat’s verdient“, sagte ich.
    „Ehrlich?“
    „Ehrlich. Sie wollte einfach nicht aufhören. Quak-quak-quak.“
    „Quak-quak-quak?“
    „Ja. Quak-quak-quakediquak. Quak-quak-quakediquak.“
    „So einen Lehrer hatte ich auch“, sagte Karl.
    „War es eine Frau? Hieß sie Mrs Scullery?“
    „Nein, das war ein Mann. Wir haben ihn immer Kladde genannt. Seinen richtigen Namen weiß ich nicht mehr.“
    „Und der hat auch immer quak-quak-quakediquak gemacht?“
    „Ja, aber da war noch so ein Knurren in seiner Stimme. Irgendwie gemeiner. Eher wie quek-quek-quekediquek! Weißt du, was ich meine?“
    „Haben Sie ihn auch angegriffen?“
    „Nein. Er war riesengroß und ich winzig klein. Außerdem war er unberechenbar und überhaupt. Also habe ich die Klappe gehalten und die Ohren auf Durchzug gestellt. Quek-quek-quekediquek.“
    „Wie schade. Na ja, ich jedenfalls hatte die Nase voll von Mrs Scullery und ihrem quak-quak-quakediquak, und da habe ich sie rundgemacht.“
    „Mit dem Kugelschreiber.“
    „Jawohl. Ich habe sie rundgemacht, mit dem Kugelschreiber.“
    „Richtig ermordet?“
    „Nicht ganz. Sie wird’s überleben.“
    Ich schaute hinunter auf das Wasser, das unter uns Richtung Ozean floss. Ich fragte: „Sind Sie so gut wie Pelé, Karl?“
    Er grinste. „Jawohl“, sagte er. „Im Vertrauen: Ich bin sogar besser.“
    „Ehrlich?“
    „Ehrlich. Du hättest das Tor sehen sollen, das ich letzte Woche im Park geschossen habe. Atemberaubend, sage ich dir!“
    Wir grinsten uns im Rückspiegel an.
    „Warum fahren Sie dann Taxi?“, fragte ich ihn.
    „Weil ich’s gerne tue. Wer will schon durch die ganze Welt reisen, Millionen scheffeln und von unzähligen Fans bewundert werden? Nein, nein, ich bleibe lieber bei meinem Taxi und der Corinth Avenue. Und wo wir gerade davon sprechen: Wir sind da!“
    Er hielt den Wagen an, stieg aus und öffnete mir die Tür. Er tat so, als ob er zurückweichen würde, als ich ausstieg, und hob abwehrend die Hände, wie um sich zu schützen.
    Ich lachte und er grinste.
    „Lass die Kulis heute besser stecken“, sagte er.
    „Na gut.“
    „Mach’s gut, kleine Wilde.“
    „Tschüss, Mr Pelé.“
    Er zwinkerte uns zu und fuhr davon.
    Und da stand es: ein Haus aus roten Backsteinen, umgeben von Asphaltflächen, einem Stahlzaun und Kübeln mit blauen Hortensien.
    Ich halte inne. Ich muss erst etwas Unfug anstellen, ehe ich mit meiner Geschichte fortfahren kann. Ich werde ein bisschen mit Worten spielen. Ich werde einen einzigen Satz und ein einziges Wort schreiben. Ein guter Zeitvertreib, bis ich meine Erinnerungen an jenen Tag wieder eingesammelt habe.

EIN EINZIGER SATZ
    Manchmal, wenn ich an meinem Tisch oder auf meinem Baum sitze und schreiben will, fange ich einen Satz an und überlege, ob ich eine ganze Seite vollschreiben kann, ehe ich einen Punkt machen muss, was anfangs ziemlich schwierig erscheint, in Wahrheit aber recht einfach ist, weil ein einziger Satz ewig weitergehen kann, ähnlich wie Zahlen, was kleine Kinder nur schwer verstehen können, weil sie den Eindruck haben, dass eine Zahl wie 100 so riesig ist, dass es nichts Größeres geben kann, bis jemand ihnen erklärt, dass es noch 101 gibt, 102, 103, und sie sagen: „Ach ja!“, und begreifen, dass Zahlen kein Ende haben und immer und immer weiter- und weiter- und weitergehen können, bis zum Ende aller Zeiten, wenn es so etwas gibt, was ich persönlich für unmöglich halte, weil die Zeit vermutlich ewig ist, genauso wie Zahlen, aber während ich immer näher an den unteren Rand der Seite komme, weiß ich, dass dieser Satz schon sehr bald enden muss, was mich zu der Frage bringt, ob ich wie Gott bin, wenn ich schreibe, und ob Gott der Zeit ein Ende setzen kann, wenn er beschließt, dass er die Nase vollhat, und ob er eines Tages das eine, einfache, verheerende Wort HALT ausspricht, woraufhin alles einfach aufhört.

EIN EINZIGES WORT
An diesem Morgen
hatte der Himmel
nur einen einzigen Vogel.

An diesem Morgen
hatte meine Seite
nur ein einziges Wort.

Lerche

Außergewöhnliche Aktivität
    Schreibe einen Satz, der eine ganze Seite füllt.
    Außergewöhnliche Aktivität
    Schreibe ein einzelnes Wort in die Mitte einer Seite.
    Okay. Die Corinth-Avenue-Schule für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen.
    Wir … Nein. Nicht wir. Nicht ich. Dritte