Mindhunter - Tödliche Gabe (German Edition)
die blanke Verachtung für ihn sprühte, als sie ihn ansah. Aber er sagte: »Du. Du bist ein richtiger Springbrunnen. Devon Caine hat sich eine Belohnung verdient, dass er dich gebracht hat. Du wirst eine von deinen neuen Freundinnen aussuchen, und die kriegt er dann als Geschenk.«
»Fick dich«, sagte Nika, auch wenn ihr Herz dabei zu hämmern begann. Devon hieß der Mann, der sie entführt hatte – der größere. Der Mann, der sie in die Schulter gebissen hatte, der Mann, von dem sie befürchtet hatte, dass er schreckliche Dinge mit ihr machen würde, bevor der andere, kleinere ihn angeschrien und davon abgehalten hatte.
Der Mann mit der Narbe lächelte – zumindest hielt sie seine Grimasse für ein Lächeln. Sein verzerrtes Gesicht wurde dadurch noch furchterregender, und die Mädchen um sie herum schrien und schrien und schrien …
10
Mit einem Keuchen schreckte Bach aus dem Schlaf hoch.
Er hatte zu einem schnellen Powernap auf dem Parkplatz des Star Market in Newton gehalten. Aber jetzt, nachdem er aus diesem furchtbaren Albtraum – wenn es einer gewesen war – von Nika und dem narbengesichtigen Mann aufgewacht war, setzte er sein Auto wieder in Bewegung. Er fuhr zügig von dem Parkplatz herunter und über die Pike nach Westen zurück Richtung OI. Hinter ihm wurde der Himmel bereits heller.
Er drehte die Heizung herunter und öffnete die Fenster, ein paar erfrischende Zentimeter weit. Die frühmorgendliche Luft wehte ihm ins Gesicht, und er rief kurz bei der Analyse an – er wollte alle verfügbaren Informationen über einen gewissen Devon Caine haben.
Bislang war es seine höchste Priorität gewesen, Rickie Littleton und seinen noch nicht näher identifizierten Trupp aufzuspüren. Das stand immer noch ziemlich weit oben auf seiner To-do-Liste. Zuerst aber musste er unbedingt nach Anne Taylor sehen. Und mit der Frau ein paar detailliertere Tests durchführen, denn was wäre, wenn …?
Bach konnte immer noch nicht ganz begreifen, was gerade passiert war, als er geschlafen hatte, aber er hatte genügend Erfahrung, um auch das Unvorstellbare als realistische Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ein Joker, der Schläge mit dem Klang seiner Stimme austeilte, war Beweisstück A dieser Nacht.
Natürlich war es durchaus möglich, dass Bach einfach nur einen Albtraum wegen Annas kleiner Schwester gehabt hatte und dass sein Hirn diesen Namen – Devon Caine – aus einer Erinnerung an etwas, das er in der Vergangenheit gelesen oder gehört, oder von einem Foto, das er gesehen hatte, heraufbeschworen hatte. Aber es gab noch andere Möglichkeiten.
Eine davon war, dass Anna – in deren Kopf er heute Nacht sehr viel Zeit verbracht hatte – wie ihre kleine Schwester über beträchtliche Fähigkeiten verfügte, die sich bei dem medizinischen Scan bei ihrer Ankunft im OI nicht gezeigt hatten. Und dass Annas Fähigkeiten sich mit denen von Nika und auch noch Bachs vereint hatten … Aber zu was? Zu einer neuen telepathischen Fähigkeit, Gedanken über bisher nie da gewesene Entfernungen hinweg zu projizieren? Immerhin waren »noch nie da gewesene« Phänomene in Bachs Welt beinahe Alltag.
Eine andere Möglichkeit war, dass Bachs Vernetzung plötzlich gestiegen war – von zweiundsiebzig auf dreiundsiebzig. Je höher die Vernetzungsniveaus, desto größer waren die Auswirkungen eines weiteren Anstiegs. Während der Unterschied zwischen einer Zehn und einer Zwölf nicht so gravierend war, war die Differenz zwischen einer Zweiundsiebzig und einer Dreiundsiebzig enorm.
Bach trainierte nun schon seit Jahren ohne den geringsten Anstieg seiner Vernetzung. Es wurde Zeit für einen Fortschritt. Und vielleicht war die Empfänglichkeit für eine Art Gedankenprojektion von Nika eine seiner neuesten Fähigkeiten.
Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass er diese Gedankenprojektion von dem Mädchen empfangen hatte, weil sie sich irgendwo in der unmittelbaren Umgebung des Supermarktparkplatzes befand – auch eine Tatsache, die zu wissen sehr hilfreich wäre. Bach wartete so geduldig, wie er nur konnte darauf, dass sein Wagen am Eingang zum OI durchsucht war, und als sich das Tor endlich für ihn öffnete und er den Hügel hinauf und dann auf das Hauptwohngebäude zuraste, fuhr er weit schneller, als auf dem Campus erlaubt war.
Anna Taylor hatte Wohnung 605 bekommen. In einer der oberen Etagen, mit erstklassiger Aussicht. Es war eine Wohnung mit drei Schlafzimmern – eines für sie, eines für ihre kleine Schwester
Weitere Kostenlose Bücher