Mindstar 03 - Die Nano-Blume
im Takt der Gegenwart und ihrer digitalen Hektik. Ein echtes englisches Landhaus, das sich in einem ewigen Altweibersommer sonnte, wo die Vögel ständig sangen und die Blumen ständig blühten. Die Zeit lief hier langsamer.
Rick Parnell stieg durch die Luke in der Unterseite des Luxushyperschallflugzeuges und trabte die Stufen herunter; die Anzugjacke trug er über der Schulter. Nachdem er sich von der Maschine entfernt hatte, drehte er sich einmal im Kreis und gaffte das Anwesen an wie ein staunender Tourist. »Meine Fresse, meinen Sie, daß hier wirklich jemand lebt? Sieht ganz nach einem Park aus, der nach einem Thema gestaltet wurde.«
»Es ist Ihr Boß, der hier wohnt, denken Sie daran«, sagte Victor.
Rick Parnell starrte zum Forellenteich am tiefsten Punkt der Gartenanlage hinunter; jetzt, wo die Kompressoren des Flugzeuges ausgelaufen waren, konnte man deutlich den Wasserfall am anderen Ende hören. Hinter der dunklen Wasserfläche folgte ein Stück dichten Waldlandes. Hohe chinesische Eiben und Virgincianabäume waren mit einem Spitzenbesatz aus dunkelgrünem Efeu und Waldreben behangen, von denen Büschel aus tellergroßen roten und lila Blüten herabbaumelten. Die Bäume hatten die Wirbelstürme des Frühlings wieder einmal überlebt, und die wenigen umgeknickten Stämme verstärkten nur die Atmosphäre rustikaler Echtheit, die das Dickicht verbreitete. Es fiel schwer zu glauben, daß diese Landschaft erst vor achtzehn Jahren angelegt worden war. Wege zogen sich kreuz und quer über den Rasen, gesäumt von formgeschnittenen japanischen Bäumen, kunstvolle Hähne, Hunde, Bären, konzentrische Ringe und eine riesige Schere. Im Zentrum eines breiten Lilienteiches ragte eine Venusstatue auf und schoß eine Fontäne fünf Meter hoch in die Luft. Kastenförmige, orangefarbene Robotgärtner krochen an den Blumenbeeten entlang, verschlangen verblaßte Rosen und jäteten Unkraut.
Victor setzte sich in Bewegung und ging zum Haus hinüber, und Rick Parnell folgte ihm widerwillig. Daniella und Matthew spielten in dem großen Schwimmbecken vor dem Haus und hatten Brutus, ihren Schäferhund, mit ins Wasser genommen. Victor sah, wie Matthew die Wasserrutsche an einer Seite heruntersauste und beinahe auf dem aufgeregten Tier landete. Qoi, das Kindermädchen, saß auf der Veranda hinter dem Schwimmbecken an einem Tisch, las in ihrem Cybofax und warf gelegentlich einen prüfenden Blick auf ihre eigensinnigen Schützlinge.
Victor mochte die Kinder; Julia hatte sie gut erzogen und darauf geachtet, daß sie nicht so hochmütig wurden wie ihre Altersgenossen. In Matthews Fall war sie fast zu weit gegangen; der Junge konnte einem zuzeiten schon ein bißchen auf den Wecker gehen. Was er wahrscheinlich brauchte, war ein Vater. Daniella entwickelte sich in eine Richtung, die an ihre Mutter erinnerte, groß und schlank, obwohl ihr Haar dunkler war und sie es weniger lang trug. Ein nettes Kind, gelegentlich sehr ernsthaft, als litte sie anfallsweise an vorzeitigem Erwachsenwerden. Jetzt winkte sie Victor lächelnd zu und rief etwas. Er vermutete, daß es eine Einladung war, sich ihnen anzuschließen, aber durch das Gebell des Hundes war kaum etwas zu verstehen. Er zeigte ihr ein übertriebenes Achselzucken und betrat durch die offene Verandatür den Salon.
»Ein offenes Haus hier, was?« fragte Rick.
»O nein, ganz und gar nicht. Wären Sie nicht in meiner Begleitung gewesen, dann wären Sie nicht über die unterste Stufe der Ausstiegsleiter hinausgekommen. Julia mag es nur nicht, wenn die Sicherheitshardware den Anblick des Grundstücks verdirbt.«
»Das glaube ich gern. Was das alles gekostet haben muß!«
Victor öffnete die Tür. »Es steht ihr zu.«
Sie erreichten eine große, mit Ölgemälden behangene Halle. Victor ging voraus, eine breite, geschwungene Treppe hinauf zum Etagenabsatz. Rick kämpfte sich unterwegs in seine Jacke hinein.
Die Tür zum Arbeitszimmer von Wilholm bestand aus massivem Teakholz und hatte einen schlichten Griff aus poliertem Messing. Victor drehte ihn und öffnete. »Die Löwengrube«, sagte er lächelnd.
Rick bedachte ihn mit einem Danke-bestens-Blick und trat ein, während er immer noch die Krawatte zurechtrückte.
Der Raum war eichengetäfelt, und die Bleiglasfenster gingen auf die rückwärtigen Rasenflächen hinaus. Ein langer Eichentisch mit zehn schwarzen Holzstühlen an jeder Seite zog sich durch die Raummitte. Julia saß am Kopfende und studierte die Daten, die in den Kuben eines
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