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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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habe ich früher genossen, mich entspannt, habe hinausgesehen, und es wurde mir leicht ums Herz. Nun sitze ich hier hinter verschlossenen Türen, weil ich mich wieder zusammenfügen muss. Ja, ich bin zerfallen in tausend Stücke, so wie früher manchmal, als ich noch jung war. Ein grauenvoller Zustand. Ich dachte, darüber wäre ich hinweg. Leo ist tot. Der Dorn des Hasses hatte sich aus meinem Fleisch gelöst. Alles, was er mir angetan hatte, hat sich über die Jahre aufgelöst.
    Damals habe ich laut gelacht, als ich zusah, wie sie das in Silberfolie verschnürte Paket mit seinen kläglichen Resten ins Meer warfen. Er hatte immer in den Wasserfällen des Ingua-su beerdigt werden wollen. Keiner war da, um sich darum zu scheren. Keiner von uns kann auch seit dem letzten Krieg mehr auf diesen verfluchten Kontinent. Und sowieso kümmerte sich keiner mehr darum, was Leo angeordnet hatte. Seine Forschungsarbeiten gingen auf uns über, auf das Institut. Ich war damals noch ein kleiner Projektleiter bei der Atox … Sein Tod war mein Glück. Heute schlage ich mich gut, habe Aufträge. »Protoprotein« ist nicht das Einzige, was wir in Auftrag genommen haben, obwohl das Projekt schleppend vorangeht. Das »Sono« steht kurz vor dem Durchbruch, sagt Weidemann, das sagt er allerdings seit Monaten. Eine tödliche Waffe und, wenn uns das gelingt, billig in der Herstellung.
    Ich sitze am Tisch und nehme kleine Schlucke von der warmen Honiglösung. Alia hat sie besorgt und mir gebracht,ich will gar nicht wissen, was sie dafür ausgegeben hat oder was sie dafür getan hat. Gibt es überhaupt noch Bienen? Natürlich, ja, in den Glashäusern des Präsis.
    Ich habe jedenfalls für alle Fälle die Tür abgesperrt, das tue ich sonst nie. Alia, die beste aller Assistentinnen, klopft und klopft. Ich höre ihre angstvolle Stimme. »Meister? Meister? Geht es Euch gut?« Sie nennt mich Meister, das dumme Kind. Es ist wahr, meine Anfälle kommen jetzt öfter und ganz ohne Vorwarnung. Vorgestern, als ich die neue Versuchsreihe prüfte, über das wimmelnde Eiweißgespinst gebeugt und atemlos hoffnungsvoll, bin ich quer über den Tisch gefallen und habe mit meinen zappelnden Armen alle Behälter und Geräte auf den Boden gefegt. Alias Gesicht über mir, mit weit aufgerissenen Augen: »Meister? Meister?« Schon am Abend konnte ich wieder Algenbrühe trinken, die sie mir hinhielt. »Alles halb so schlimm, Meister. Wir haben ja unsere Notizen.« Zwei Monate Arbeit dahin, dabei haben wir versprochen, ach was, zugesagt … Es geht um die Glorie unseres Auftraggebers. Es geht um Politik. Es geht um Macht. Der Präsi ist frisch geklont und will nun einen »richtigen Knaller« vorweisen, lässt er mir sagen. Er hat es dem Volk versprochen. Er hat es zugesagt, großkotzig, schon vor der Klonung. Der Hunger von Tausenden kann gestillt werden, sagte er. Unsere Forschung ist einmalig in dieser Welt. Die Welt soll gefüttert werden mit unserem »Protoprotein«. Im Grunde geht es neben der Ehre um einträgliche Geschäfte mit dem Stoff. Er hat schon recht, alle Welt würde sich darum reißen.
    »Ist gut, Alia!«, rufe ich. »Geh nach Hause. Ich habe keinen Anfall. Alles ist bestens. Ich muss meditieren.«
    Vor der Tür wird es still, aber ich glaube nicht, dass sie weggegangen ist. Wahrscheinlich hockt sie, an die Wand gelehnt, neben der Tür und weint. Es ist nicht immer leicht, ihre Hingabe an meine Forschung und ihre Verehrung für mich auszuhalten. Ich bin ein alter kranker Mann. Ich kann mich nicht mehr herumschlagen mit solchen Frauensehnsüchten, nach Liebe, nach Geborgenheit. Dabei ist Alia eine junge Frau, die früher auch Sehnsüchte in mir geweckt hat. Ja, früher …
    Ich sitze da und meine Hände zittern, als ich die ganze Aufzeichnung noch mal durchlaufen lasse. Mein Schirm ist nicht 3D, nicht hier im Büro. Das macht nichts.
    Da ist er. Ein Prachtexemplar. Ich könnte heulen vor Wut.

NIN
    Papa glaubt an die moderne Medizin. Er kommt jeden Tag mit neuen innovativen Behandlungsmethoden nach Hause.
    »Ich bin nicht euer Versuchskaninchen«, sage ich, aber ich bin so traurig und schwach, dass ich nicht wirklich kämpfen kann. Mama weint. Das tut sie immer, wenn Papa etwas Neues durchsetzen will, und das gelingt ihm dann ja auch.
    »Also … wenn Papa glaubt, es macht dich gesund …«, sagt Mama und schnieft.
    »Ich sage euch … wahre Wunder hat diese Methode bewirkt …«, sagt Papa. »Diese arme Aristo, diese Helena, nachdem sie …« – die

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