Mingus
trete hinaus in den Regen.
Der Mann ist neben mir und fasst mich am Arm. »Hier entlang, schönes Fräulein, ich habe Transport.«
Ich reiße mich los, aber er erwischt meine Kapuze, zerrt an ihr, drängt mich an die Hauswand. »Nicht so eilig«, keucht er. Ich schreie, aber keiner schert sich darum. Regen fällt auf mein Haar. Ich ringe mit ihm. Er ist stark und schwer. Er erdrückt mich fast.
»Ihre armen Eltern«, zischt er. »Sie warten auf Sie. Ruhig! Ruhig. Ich komme von Ihren Eltern. Machen Sie keine Geschichten. Gleich kommen die Jungs von der Ci-Po. Wollen wir das?«
Ich pfeife nach Gonzo, aber er legt mir die Hand auf den Mund und zerrt mich auf die Straße. »Hier, hier, ganz ruhig.« Er stößt mich in den roten kleinen Chopper, der um die Ecke wartet und vor dem zwei Robos Wache stehen.
»Und los!«, brüllt er und schwingt sich zu mir herein. Wir heben ab.
Wir fliegen durch den Regen. Er lächelnd, und wie breit er lächelt, hält mir seine Hand hin. »Ich bin Bello«, sagt er,»und ich bin Ihr Retter.« Er lacht. »Wir haben eine Audienz.« Er lacht. »Aber vorher muss man … müssen Sie …« Er lacht. »Ungewaschener Aristo! Ein ganz neuer Geruch für mich!« Er rümpft die Nase. »Und diese Klamotten. Nein. So nicht. Unser Präsi ist ein Ästhet.«
»Wo sind meine Eltern? Ich will zu meinen Eltern«, sage ich.
»Aber ja, die Eltern … natürlich … aber zuvor der Präsi. Sind Sie aufgeregt?«
»Ich will nach Hause!«, schreie ich.
»Der Präsi will Sie sehen.« Er lächelt. »Sie Glückskind … der Präsi will Sie treffen … aber zuerst das Bad und die Ausrüstung. Wir wollen uns doch von unserer besten Seite zeigen.«
Ich sage nichts von Gonzo. Gonzo wird mich finden. Ich habe mir den Sender unter die Haut transplantiert. Ich mag diesen Mann nicht. Eine aufgedunsene schleimige Kröte, die hässlich lacht. Ich habe gar nicht gewusst, dass man so hässlich lachen kann.
TARA
Neila glaubt, Alan und seine Leute haben sich Mingus geschnappt und halten ihn gefangen. Die Frauen des Suchtrupps haben nach ihrem Scharmützel die gefangenen Männer verhört und seltsame Dinge zutage gefördert.
»Die Wiederkehr der Amas unter einem neuen Führer.«
»Die Erfüllung der Prophezeiung.«
»Der große Khan.«
Die Große Mutter lässt uns wissen, wir sollten bis Vollmond warten. Die jungen Kriegerinnen sind ungeduldig, aber Neila tröstet sie mit Tänzen und einem Raubzug, der uns drei neue Männer einbringt. Allesamt Aristos. Die ersten Tage bleiben sie natürlich in Einzelkäfigen. Man kann sie die ganze Nacht brüllen hören wie Ochsenfrösche.
Frida ist nun meine Vertraute. Gemeinsam scheuern wir das Wasserbecken des Männerhauses. Die Männer, die schönen, gut genährten Männer, lungern untätig herum und versuchen, uns Anweisungen zu geben, wie wir schrubben sollen.
»Ihr seid zu schwach, ihr alten Heuschrecken«, rufen sie. »Schickt uns ein paar junge kräftige Weiber zum Putzen.«
Wir kümmern uns nicht darum. Es bleibt viel gutes Essen im Männerhaus liegen. Abends füllen wir unsere Taschen. Die Frauen aus unserem Schlafraum warten schon auf uns.Nachts hocken wir zusammen und spielen Ausziehpoker und Fang die Maus.
Langsam setze ich die kleinen, hier und da in den Frauengruppen aufgeschnappten Gesprächsfetzen zusammen. Keine spricht offen darüber. Es gibt irgendwo, weit weg in der Wildnis, einen Ort, den sie »Setubal« nennen. Seltsamer Name! Ein Ort, an dem, je nachdem, wer gerade spricht, die Verbrecher und Verräter hausen oder aber die Rebellen und Verweigerer. Niemand weiß genau, wo das ist und wie man dorthin kommt. Angeblich gibt es dort Plantagen und Vieh, woher diese Tiere kommen, weiß keiner. Angeblich gibt es dort keine Gesetze, eine wahre Hölle muss das sein. Andere nennen es das »Paradies«, wieder andere eine mythologische Stadt, die es ebenso wenig gibt wie das »Eldorado« der Vortechnikzeit.
Frida sagt mir, dass Becky und ihr Kind und der Mann, den sie Balthasar nannten, sich zu diesem Ort aufgemacht haben. Mehr weiß sie nicht. Sie wollten einen Chopper entführen und hatten alles lange geplant. Aber ob sie je dorthin gelangt sind, ob sie überhaupt weggekommen sind, das kann Frida nicht sagen. Niemand hier in den unteren Rängen weiß davon. Frida glaubt, sie wären alle drei bei diesem Fluchtversuch umgekommen. Gerüchte von solchen misslungenen Fluchtversuchen schwirren immer wieder herum. »Sie werden in die Welt gesetzt, um uns dergleichen
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