Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Minuszeit

Minuszeit

Titel: Minuszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
Vom Netzwerk:
Carson fühlte sich zwischen dem Wunsch, ihn zu trösten, und dem Verlangen, ihn auszuhorchen, hin und her gerissen.
    »Sie kennen Doktor Marshall schon«, sagte er freundlich. »Sie brauchen sich nicht vor ihr zu fürchten. Setzen Sie sich, reden Sie sich Ihren Kummer vom Herzen und machen Sie sich keine Sorgen wegen der Klinik oder ihren Psychiatern; ein Freund ist so gut wie ein Psychiater. Sagen Sie uns einfach, was Sie bedrückt. Doktor Marshall wird Sie genauso gern anhören wie ich. Als Ärztin ist sie immer im Dienst.«
    »Ja«, sagte Jean leise, »genau wie ein Polizist.«

 
14.
     
    Er genoß den Ruf, ein altes Klatschweib zu sein, und nun, nachdem er seine Mittagspause so verlegt hatte, dass sie mit Jeans zusammenfiel und sie angefangen hatten, jeden Tag gemeinsam zu essen, begann sein Ruf sich zu wandeln: Man beneidete ihn. Wenn einige Leute, die sie jetzt ständig beobachteten, gewußt hätten, dass Jean während der letzten drei Abende insgesamt sechs Stunden in seiner Wohnung zugebracht hatte, würden sie wirklich neidisch geworden sein, aber ohne Grund.
    »Ich habe das Gespräch, das wir nach deinem Weggang gestern abend führten, auf Band genommen«, sagte Carson, »damit du dich nicht auf Hörensagen eines Laien verlassen mußt. Er hat wirklich ein kompliziertes Traumleben, und die Art seiner Beschreibung ist fast noch unheimlicher als die Träume selbst. Wenn du heute abend kommen kannst …«
    »Ich werde kommen und mir das Band anhören«, sagte sie. »Aber ich glaube, wir gehen ein Risiko ein, wenn wir fast jeden Abend zusammen dort sind, wo er dich besuchen kommt. Er ist unschuldig, aber nicht dumm. Eines Abends wird er entweder glauben, dass er störe, und nicht wiederkommen oder er wird begreifen, dass unsere schuldbewußten Blicke eine Folge unserer Gespräche über ihn sind und nicht ein Ausdruck von Verlegenheit, weil wir etwa was getan hätten, weswegen wir uns schuldig fühlten …«
    Carson sagte: »Würdest du dich besser fühlen, wenn wir etwas täten, weswegen wir uns schuldig fühlen sollten? Ich ganz bestimmt.«
    »Sei vernünftig, Joe. Mir tut John Pebbles leid. Was werden wir erreichen? Daß er erschossen oder eingesperrt wird? Dabei wissen wir beide, dass er keines Verbrechens schuldig ist.«
    »Du solltest es anders sehen«, sagte Carson. »Wenn wir erfolgreich sind, wird er nicht schuldig sein, weil wir ihn daran gehindert haben werden, ein Verbrechen zu begehen.
    Ich werde heute länger arbeiten«, setzte er hinzu, »also komme nicht vor neun. Nach Feierabend ist eine Zusammenkunft der Projektgruppe, die ich abhören möchte …«
    »Mein Ratschlag ist«, erwiderte sie, »dass du nicht zu viele Risiken auf dich nehmen solltest.«
    Aber er nahm noch am selben Nachmittag ein Risiko auf sich, als er den Leiter der Presse- und Informationsabteilung mit einer ziemlich merkwürdigen Frage behelligte.
    »Die Sache ist die«, sagte er nach den üblichen Präliminarien, »ich habe ein Foto von einer Person, die ich gern identifiziert hätte. Es wurde vor mehr als vier Jahren gemacht.« Das war eine Lüge, denn er hatte die Aufnahme erst vor zwei Abenden in seiner Wohnung gemacht. »Der Name und die Nationalität des Dargestellten sind mir nicht bekannt, aber er ist sehr wahrscheinlich ein bekannter Flugkapitän oder Testpilot, so dass sein Bild in den Luftfahrtzeitschriften jener Zeit oder früher erschienen sein müßte. Was jünger als vier Jahre ist, wird mir nicht weiterhelfen, weil er später vielleicht umgekommen ist oder sich der Schweinezucht gewidmet haben mag. Ich hätte gern gewußt, ob eine Ihrer Zeitungsausschnitt-Agenturen in der Lage ist, in vier Jahre alten und älteren Fachzeitschriften des In- und Auslands eine Suche nach jemand vorzunehmen, dessen Name und Nationalität ich nicht kenne, von dem ich aber ein Foto habe. Auch hätte ich es gern bald erledigt, und in aller Verschwiegenheit.«
    Eine lange Pause folgte, dann sagte Simpson: »Das mache ich lieber selber, Carson. Schicken Sie mir das Foto einfach ‘rüber …«
    Plötzlich fühlte Carson sich von tausend Zweifeln bedrängt. Aber Pebbles, so sagte er sich, war nur einer unter zwölftausend Beschäftigten, und Simpson war ein überlasteter Mann. Selbst wenn er sich die Aufnahme genau ansähe, würde er den Mann wahrscheinlich nicht wiedererkennen.
    »Wird sofort gemacht, und vielen Dank«, sagte Carson. »Ich nehme an, Sie möchten gern wissen, warum ich …«
    »Carson«, sagte Simpson, »die drei letzten

Weitere Kostenlose Bücher