Mira und das Buch der Drachen (German Edition)
wurde schmaler. Vor dem Café mit den glitzernden Weihnachtskugeln im Schaufenster leuchtete das Dach eines alten, orangefarbenen VW Käfers zwischen den Schneehaufen hervor.
»Sie warten dort auf dich, Mira.« Die Taube gurrte leise und sah Mira mit schiefem Kopf an. »Freut mich übrigens, dich kennenzulernen!«
»Mich auch!«, erwiderte Mira und deutete eine leichte Verneigung an. »Und wer genau wartet da auf mich?«
»Freunde«, sagte Polly nur knapp und lächelte Mira an. Dann drehte sie sich wieder zur Glasscheibe.
»Es sieht aber nicht so aus, als ob die zwei hier bald verschwinden würden«, murmelte sie, ohne den Blick von den beiden Männern zu wenden, die nun wieder auf der anderen Straßenseite aufgetaucht waren.
Mira blickte nach unten. Die Männer hatten die Kragen ihrer Overalls hochgestellt und liefen die Straße auf und ab. Der eine hatte seine Zigarette nun fertig geraucht und warf sie in hohem Bogen in einen Schneehaufen.
Sie befanden sich jetzt gegenüber dem Café, ganz in der Nähe des orangefarbenen Käfers.
Mira kaute an ihrem Daumennagel. Wer auch immer in dem Auto saß, würde hoffentlich nicht von den beiden schwarzen Zauberern erkannt werden.
Polly wandte ihren Blick von den Männern ab und hüpfte auf eines der großen Ölbilder, die an den Scheiben der Glaskuppel lehnten. Es zeigte eine Fliege, die ahnungslos auf dem Blatt einer riesigen, roten fleischfressenden Pflanze saß.
Die graue Katze sah zu den Tieren hinunter, die sie neugierig umringten.
»Freunde! Vor unserem Haus patrouillieren zwei schwarze Zauberer.«
Ein aufgeregtes Gemurmel erhob sich.
»Keine Sorge! Ich gehe davon aus, dass sie unseren Unterschlupf nicht entdeckt haben. Unsere Aufgabe ist es nun, Mira bis zu dem orangefarbenen Käfer vor dem Café am Ende der Straße zu bringen, ohne dass die beiden es bemerken.«
Die graue Katze sah in die Runde. »Irgendwelche Ideen dazu?«
»Wir schleichen uns auf die Straße und sehen nach, wo die Männer sind und was sie vorhaben«, erklärte eine der kleinen Mäuse.
»Und dann lenken wir die Männer ab«, schnurrte die Angorakatze.
»Und einer bringt Mira sicher zu dem Auto an der Straßenecke«, schlug der schwarze Pudel vor.
»Gut«, sagte Polly knapp und ließ ihren Blick über die Versammlung schweifen. »Freiwillige?«
Es entstand ein wildes Getümmel. Alle Tiere drängten sich um das Bild, auf dem Polly Lux saß. Einzig das Meerschweinchen blieb im Hintergrund sitzen.
»Einen Moment!«, erklang seine quiekende Stimme, die trotz des großen Lärms deutlich zu hören war. Alle drehten sich zu ihm um. Es hatte sich aufgerichtet und seine Schnurrhaare zitterten. »Ich weiß, dass ich aufgrund meiner Position nun in vorderster Reihe stehen müsste.« Es räusperte sich leise. »Und doch kann niemand von mir verlangen, dass ich mit meinen kurzen Beinen bis ins Erdgeschoss hüpfe!«
»Das tut auch niemand, Eberhard!«, erklärte Polly verwirrt.
»Ich, als Erster Offizier der Armee, werde deshalb die Aktion von hier oben koordinieren.«
»Als Erster Offizier?«, fragte die graue Katze überrascht.
Eberhard Schacht stellte sich auf seine Hinterpfoten. Er sah nun wesentlich größer aus als 22 Zentimeter, fand Mira. Beinahe hatte er schon Linealgröße.
»Wir wissen alle, dass du die Armee führst, Polly. Aber in mir hat sie einen Vordenker und Strategen.«
»Wir wissen alle, was wir an dir haben!«, sagte die gefleckte Katze, die nun neben Polly auf das Ölbild gesprungen war.
Das Meerschweinchen hüstelte geschmeichelt.
»Ich halte besser hier oben die Stellung und behalte den Überblick.«
»Sicher«, sagte Polly Lux. Täuschte sich Mira oder konnte sie ein nur mühsam unterdrücktes Grinsen im Gesicht der grauen Katze erkennen?
Polly Lux wandte sich an die Angorakatze, den schwarzen Pudel und an die kleinste der Mäuse. »Ihr kommt mit mir mit!Inzwischen wird Eberhard hier wachen und Verstärkung schicken, wenn es nötig sein sollte.«
Das enttäuschte Gemurmel der Tiere, die nicht von Polly ausgewählt worden waren, füllte den Raum.
Das Meerschweinchen wandte sich nun an Mira. »Zu schade, dass du jetzt nichts mehr für das Manifest tun kannst.«
»Was ist ein Manifest?«, fragte eine der kleinen Mäuse.
»Eine öffentliche Erklärung!«, sagte das Meerschweinchen gewichtig. »Die erste öffentliche Erklärung der Haustiere.« Es tippte sich mit der Pfote an seinen pelzigen Kopf. »Bislang ist sie nur hier drin. Aber sie gehört aufgeschrieben
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