Mira und das Buch der Drachen (German Edition)
Wunder, wenn man bedenkt, dass ...« Sie stoppte mitten im Satz, denn Mirandas Eltern hielten direkt auf sie zu.
»Wie schön, euch zu sehen!«, sagte sie stattdessen.
Mirandas Vater verbeugte sich steif. »Das Vergnügen liegt ganz bei uns«, sagte er heiser. Mirandas Mutter kam dazu und gab der dicken Frau schnell zwei Luftküsse über die Wangen hinweg.
»Seid ihr denn nicht über das Treppenhaus gekommen?«, fragte die dicke Frau und warf einen erstaunten Blick auf das Auto.
Mirandas Eltern sahen sich an.
»Es hat uns keiner das Passwort verraten«, erklärte Mirandas Vater schließlich. Es folgte eine unbehagliche Pause.
»Ein bezauberndes Anwesen, nicht wahr?«, brach die dicke Hexe schließlich das Schweigen.
»Ja, sehr schön.« Mirandas Vater nickte knapp.
»Es wird sicher ein wundervolles Fest!«, fuhr die Hexe fort.
Mirandas Mutter versuchte sich an einem Lächeln.
»Also ... wir schauen dann schon mal rein!« Die dicke Hexe seufzte und gab ihrem hageren Begleiter einen Stoß mit dem Ellenbogen. »Komm schon!«
»Wir sehen uns dann!«, murmelte Ambrosius und wandte sich um.
Als das ungleiche Paar gegangen war, reichte Mirandas Vater ihrer Mutter den Arm.
»Ich kann das nicht!«, flüsterte Mirandas Mutter erstickt. »Ich kann da nicht hinein!«
»Du musst!«, stieß Mirandas Vater hervor. »Wir müssen uns zeigen, gerade jetzt! Vielleicht hat jemand etwas von ihr gehört!«
Mirandas Mutter senkte den Kopf und nickte stumm. Sie tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen und nahm dann den dargebotenen Arm, um mit schnellen Schritten in Richtung Haupteingang zu verschwinden.
Mira starrte auf das klaffende Maul des steinernen Ungeheuers. Das war also der Ausgang des Treppenhauses. Würden Rabeus und Miranda auch dort herauskommen? Sie wartete eine Weile, doch der Schlund blieb leer.
Plötzlich fühlte sie sich elend. Ob Miranda wohl wusste, wie sehr ihre Eltern sie vermissten?
Und während sie das noch dachte, sah sie, wie das Bündel Stoff, das rechts am Eingang lag, sich bewegte.
20. Kapitel
in dem Hippolyt einen Versprecher riskiert
»Mira!«, flüsterte es plötzlich neben ihr. »Mira, hilf mir!« Die Stimme klang rau und verzweifelt. Nach einer Schrecksekunde drehte sich Mira langsam zur Seite und starrte auf den Lumpenhaufen zu ihrer Rechten. Etwas bewegte sich dort! Das war kein achtlos hingeworfenes Bündel alter Decken. Unter den Stofffetzen verbarg sich ein Mensch! Mira schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien.
Es war Hippolyt. Er saß im Schnee, hatte seine Beine ausgestreckt und sich seinen Mantel um die Schultern gelegt. »Es ist so kalt! Und ich brauche ...« Der Rest des Satzes ging in einem bellenden Gehuste unter.
»Hippolyt!« Mira ging langsam zu dem Zauberer hinüber und kniete sich neben ihn in den Schnee.
Hippolyt wurde von einem zähen, trockenen Husten gequält, der seinen ganzen Körper durchschüttelte. Er krallte sich während des Anfalls an Miras Arm. Erst jetzt sah sie, dass er unnatürlich bleich war und große dunkle Schatten unter den Augen hatte.
»Ich kann nicht mehr aufstehen! Mein Fuß!«, japste er, während er wieder nach Luft schnappte.
»Lassen Sie sehen!«, murmelte Mira.
Hippolyt wickelte sein Bein aus der Decke. Mira zuckte zurück. Hippolyts Fuß steckte in einem völlig durchnässten Lackschuh und war aufgepumpt wie ein Ballon.
»Seit gestern bin ich unterwegs. Alles gelaufen!«
Mira sah ihn überrascht an. »Dann waren das also Ihre Fußstapfen, denen ich gefolgt bin.«
Hippolyt warf Mira einen verwirrten Blick zu. »Ich dachte, du würdest aus diesem Maul da vorne stolpern, wie alle anderen.«
Mira schüttelte den Kopf. »Ich komme aus dem Wald. Aus einem anderen Zugang«, erklärte sie leise. »Aber warum sind Sie den weiten Weg gegangen?«
Hippolyt musterte sie mit einem leichten Grinsen zwischen zwei bellenden Hustenstößen. »Das Gleiche könnte ich dich auch fragen.«
Er blickte durch die Gitterstäbe des Tores und schnüffelte in die kalte Luft. »Riechst du das? Zimt- und Tannenwurz, gebratene Insekten, Weinbergschnecken mit Kräuterbutter. Alles für das Fest.« Sehnsüchtig sah er zu dem seltsamen Haus, das ihnen seine unwirtliche Rückseite zuwandte. Stimmengemurmel und leise Klaviermusik wehten zu ihnen hinüber.
»Hast du keinen Hunger?«
»Ich ... ich weiß nicht«, erwiderte Mira. Essen war das Letzte, woran sie in den vergangenen Stunden gedacht hatte. Tatsächlich krampfte sich ihr Magen
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