Mira und die verwunschenen Kugeln (German Edition)
begannen sich ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Aus einer schmalen, schießschartenähnlichen Öffnung weit über ihr fiel ein wenig Licht in den quadratischen Raum.
Rechts zweigte eine weitere Tür ab, in deren Schloss ein riesiger alter Schlüssel steckte. Mira stellte den Zwerg ab, packte den Schlüssel und drehte ihn vorsichtig. Mit einem durchdringenden Quietschen öffnete sich die Tür und gab den Blick auf eine enge Treppe frei. Es roch nach feuchtem alten Stein und von ferne hörte man ein leises Gluckern.
»Vielleicht sollten wir da runter«, schlug Mira vor.
»Das wird ja immer besser«, maulte der Zwerg zu Miras Füßen. »Jetzt schleppst du mich auch noch in ein finsteres Treppenhaus. Wir werden uns bestimmt verirren und nie mehr herausfinden.«
»Hast du vielleicht eine bessere Idee?«, rief Mira ärgerlich.
Nein, der Zwerg hatte keine bessere Idee. Er beschwerte sich noch eine Weile, wie dumm Mira war, einer verschlagenen Bronzefigur zu folgen, wie sehr er Nässe verabscheute und wie groß seine Angst sei, dass sie ihn fallen lassen würde. (Wer würde ihn dann wieder zusammenkleben?) Während er diese Klagen lauthals äußerte, tappte Mira vorsichtig die Stufen hinunter und tastete sich mit der freien Hand an der glatten Wand entlang, während sie mit der anderen Hand den zeternden Zwerg fest umklammert hielt. Jeden Moment erwartete sie, am Fuß der Treppe anzukommen, doch die wand sich immer weiter nach unten. Das Gluckern wurde immer lauter und schwoll bald zu einem regelrechten Rauschen an. Als Mira endlich unten angekommen war, sah sie auch, warum.
Schäumend zog sich das dunkle Wasser des Kanals dahin. Er floss aus einem Tunnel, durch den auch ein wenig schummriges Tageslicht fiel, und mündete am anderen Ende in einen engen Durchfluss. Als Mira hochblickte, sah sie, dass sie sich in einer Art Halle befand. Über ihr wölbte sich eine von dunklenStützbalken gehaltene Decke. An den Wänden tanzten die Spiegelungen des strömenden Wassers. Über dem runden Bogen, unter dem das Wasser nach draußen floss, entdeckte Mira etwas Eigenartiges. Sie kniff die Augen zusammen, und dann machte ihr Herz vor Freude einen kleinen Sprung. Es war ein Zeichen. Ein mit wenigen kühnen Strichen hingepinselter Drache!
»Die Spur der Drachen«, rief Mira aufgeregt.
»Was soll das sein?«, fragte der Zwerg.
»Wir sind in den geheimen Gängen unter der Stadt.« Mira strahlte. »Deshalb hat mich dieser kleine Seedrache so angelächelt.« Sie fühlte sich mit einem Mal ganz leicht und stolz. Auch sie hatte nun einen Eingang zu dem sagenhaften Netzwerk gefunden!
»Mhm«, brummte der Zwerg mäßig begeistert.
Mira setzte sich auf die unterste Treppenstufe und stellte ihn neben sich. Sie zog ihre Turnschuhe aus und band sie zusammen.
Dann hängte sie sich die Schuhe über ihre Schulter und ließ sich vorsichtig in das Wasser gleiten. Es war nicht besonders tief und reichte ihr nur bis knapp übers Knie.
»Wasser!«, murmelte der Zwerg, als Mira ihn entschlossen wieder in ihre Jacke steckte. »Gibt es etwas Schlimmeres als Wasser?«
Mira watete zu dem Tunnel unter dem Drachenzeichen. Das Wasser floss ihr entgegen. Es war kalt. Sie musste sich bücken, denn der Eingang reichte ihr nur bis zur Schulter.
»Oh nein!«, rief Mira.
»Was ist denn nun wieder?«
»Da ist ein Gitter am Ende des Tunnels«, antwortete Mira.
»Was für ein raffinierter Geheimgang!«, bemerkte der Zwerg boshaft.
Mira zuckte mit den Achseln und watete gebückt weiter.
Unter ihren Zehen fühlte sie glitschige Steine, und Algen schlangen sich um ihre Füße. Schließlich ragte vor ihr das Gitter auf. Zwei zerbeulte Plastikflaschen und ein schmutziger Stofflappen trieben vor den Stäben. Draußen konnte sie die verwilderten Büsche sehen, die den Kanal zu beiden Seiten säumten. Und dahinter die Türme der alten Burg.
Mira rüttelte erst an dem Gitter, dann versuchte sie, es hochzuschieben. Vergebens.
Enttäuscht lehnte sie sich gegen die efeubewachsene Tunnelwand, um nachzudenken. In diesem Augenblick geschah es. Die Wand gab nach!
Verwirrt drehte sich Mira um. Was war das? Vorsichtig streckte sie ihren Arm hindurch. Ihre Finger griffen ins Leere. Hinter dem Efeu war keine Mauer. Mira zerrte an den Ranken, die dicht und verholzt waren. Sie achtete nicht auf die Kratzer an ihren Händen. Endlich gaben ein paar Äste nach und sie stand vor einem kreisrunden Loch. Pechschwarz, gerade so, als würde der finstere Tunnel alles Licht
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