Mira und die verwunschenen Kugeln (German Edition)
betrachtete Mira aus den Augenwinkeln.
»Ich dachte, Sie kennen alle Figuren in der Stadt?«
»Ja schon«, erwiderte Neptun gereizt, »solange sie aus Gold, Silber oder Bronze sind. Bei allen anderen – du musst verzeihen – wäre das ein bisschen viel verlangt.«
»Schade«, sagte Mira, »ich bin nämlich auf der Suche nach einer blechernen Krähe.«
»Eine Krähe? Aus Blech?« Neptun lachte. »Dann könnte ich mich ja gleich mit einem Wetterhahn anfreunden.«
Eine dicke, schmutzige Taube kam herangeflogen und setzte sich ihm auf den Kopf. Der Meeresgott räusperte sich strengund die erste Meerjungfrau blickte nach oben und spuckte einen Wasserstrahl auf den schillernden Hals der Taube. Die flatterte erschrocken auf und verschwand mit einem empörten Gurren.
»Würdest du nun bitte so freundlich sein und diesen Zwerg wieder mitnehmen?«, dröhnte Neptun. »Ich habe zu tun!«
Mira war enttäuscht. Der berühmte Neptun konnte ihr nicht weiterhelfen. Sie streckte die Hand nach dem Zwerg aus.
»Warte!«, rief der Zwerg zitternd Mira zu. Dann sah er zu der Brunnenfigur hoch. »Nur eines noch!«
Neptun sah ihn nicht einmal an.
»Im Gegensatz zu dir kann man mich wenigstens nicht einschmelzen«, schleuderte der Zwerg heftig heraus.
Die Brunnenfigur sagte nichts. Nicht einmal die Nixen gaben einen Laut von sich. Ein Paar kam angeschlendert und setzte sich auf die Stufen unterhalb des Brunnens.
»Auf Wiedersehen, Herr Neptun«, sagte Mira grinsend und steckte den Zwerg wieder in ihre Jacke. Dann sah sie von der mächtigen Figur nach unten. Der kleine Meerdrache unter den gewaltigen Bronzezehen wandte ganz leicht den Kopf zu Mira, nur um gleich wieder geradeaus zu sehen. Mira folgte seinem Blick. In einer Nische des Rathauses, einem alten Backsteinbau, war eine unscheinbare Tür eingelassen. An dem morschen Holz blätterte grüne Farbe ab. Wo diese Tür wohl hinführte? Mira sah von der Tür zurück zu dem kleinen Meerdrachen. Täuschte sie sich oder umspielte ein leichtes Lächeln seine Mundwinkel?
13. Kapitel
in dem Mira eine Inschrift aus der Vergangenheit entdeckt
»Ich wünschte, man würde Balkongitter aus ihm machen! Oder – noch besser – Türgriffe!« Die Stimme des Zwergs drang erstickt aus Miras Jacke. Sie waren bereits außer Hörweite der Brunnenfiguren, und Mira passierte den Bauernmarkt, auf dem Händler in kleinen Buden mit orangefarbenen Dächern ihr Gemüse und Obst feilboten.
»Hast du gehört, was er zu mir gesagt hat?«, schimpfte der Zwerg weiter.
»Er hat mich ›Gipsfigur‹ genannt. Oh! Oh! Noch nie in meinem Leben bin ich so gedemütigt worden!«
»Pscht«, wisperte Mira in ihre Jacke hinein. »Sei doch ruhig!«
Eine ältere Frau mit Einkaufstüten sah neugierig zu ihr herüber. Mira lächelte ihr zu und versetzte dem Zwerg unter der Jacke unauffällig einen kleinen Stoß.
»Darf ich dich vielleicht an dein Versprechen erinnern«, sagte der Zwerg. »Ich will sofort zum Haus der schwarzen Hexe!«
»Gleich«, murmelte Mira. »Ich muss mir nur noch etwas ansehen!« Sie steuerte auf das Rathaus zu und blieb vor der Türstehen, auf die der Seedrache gestarrt hatte. Die Tür war so unscheinbar und unauffällig in die Mauer eingefügt, dass Mira sie von allein nie bemerkt hätte.
Sie sah sich um. An den Gemüseständen unterhielten sich die Verkäufer. Passanten liefen dicht an ihr vorbei. Abgesehen davon war die Tür sicher verschlossen. Ob sie trotzdem an der Klinke rütteln sollte?
Unauffällig lehnte sich Mira an das große Türblatt – und vor Schreck setzte ihr Herz einen Moment aus. Die Tür gab einfach nach und sie stolperte rückwärts in einen engen dunklen Raum. Dort trat sie einen Schritt zurück und die Tür fiel wieder zu.
Der Markt, der Brunnen, die Menschen, die Sonne, alles war mit einem Mal verschwunden und Mira war völlig von Dunkelheit umgeben.
Sie tastete die Tür vor sich ab. Es gab keine Klinke, um sie wieder zu öffnen.
»Schöner Mist!«, murmelte sie.
»Was ist los?«, fragte der Zwerg.
»Ich glaube, wir sind eingesperrt!« Mira wickelte ihn aus ihrer Jacke. Der Zwerg runzelte die Stirn, während er seine Augen umherwandern ließ. »Kannst du mir mal verraten, was wir eigentlich hier machen?«
»Der Drache unter der Brunnenfigur hat auf diese Tür gesehen und mir zugelächelt.«
Der Zwerg verzog sein Gesicht. »Du vertraust also einer Bronzefigur! Noch dazu einer, die lächelt. Wirklich außerordentlich schlau!«
Mira seufzte. Nach und nach
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