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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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verbinden«, flüsterte der Mann von der Palastwache seinem Kameraden zu.
    »Keine Sorge«, erwiderte dieser ebenso leise, »ohne dich würde ich mich ohnehin hoffnungslos in diesem Irrgarten verlaufen.«
    »Auf dem letzten Stück werde ich dir trotzdem einen schwarzen Sack über den Kopf stülpen. Nur damit ich dem König die Wahrheit sagen kann, falls er mich danach fragt.«
    »Schon in Ordnung, Wallin. Ich weiß so gut wie du, dass man Seine Majestät nicht ungestraft belügen kann.«
    »Jetzt links!«, kommandierte Rolaf laut.
    Twikus spürte die Lanze am rechten Oberarm und ließ sich bereitwillig in die angegebene Richtung dirigieren.
    Auch ohne die alte Gabe wurde ihm zunehmend bewusst, wie raffiniert das Palastlabyrinth angelegt war. Es gab bei weitem nicht nur rechte Winkel, die es einem Gedächtnisakrobaten verhältnismäßig leicht gemacht hätten, sich die Anzahl und Richtung der Abzweige einzuprägen. Der Irrgarten, in dem Wikander sich verschanzt hatte, glich eher einem großen Wollknäuel: Die Flure liefen kreuz und quer durcheinan der.   
    Immer wieder wechselten sie auch die Stockwerke: Mal ging es zwei treppauf, bald wieder eines treppab und kurz darauf wieder drei nach oben.
    Der Prinz gab schon bald den Versuch auf, sich das Gewirr von Richtungsänderungen einzuprägen. Ein paar Gabelungen lang dachte er darüber nach, sich einfach bis vor Wikanders Thron führen zu lassen, aber dann verwarf er den Plan wieder. Die Begegnung mit dem Wächter in der Höhle Gandarin - helel steckte ihm noch in den Knochen. Er durfte seine begrenzten Kräfte nicht im Kampf gegen Leibgardisten und Hofschranzen
    »unnötig verausgaben« – so hatte es seine Meisterin einmal in Bolk formuliert. Nach dem gefeierten Sieg über Kawuzz war ihm ihr Tadel übermäßig streng vorgekommen, aber inzwischen wusste er ihren Rat sehr zu schätzen.
    Es war Zeit, dieses Blindekuhspiel zu beenden.
    Das Erwachen des Sinns, den Múria die »alte Gabe« nannte, blieb den zwei Soldaten verborgen. Für sie lief der Gefangene weiterhin willig vor ihnen her und ließ sich fast so leicht wie ein Ross an der Kandare mit kleinsten Berührungen der Lanzenspitze in jede beliebige Richtung lenken. Aber dann blieb der Prinz unvermittelt stehen.
    »Was ist?«, fragte Rolaf.
    Twikus drehte sich zu den beiden Wachmännern um. »Hier ist der Weg für euch zu Ende.«
    Wallin lachte nervös auf. 
    »Was soll das?«, grunzte Rolaf. »Hier wird gemacht, was…« Weiter kam er nicht, weil der Rest des Satzes aus seinem Gedächtnis verschwand. Die fehlenden Worte waren ein Teil seiner Zukunft. Einen Moment lang sah er vor seinem geistigen Auge Bilder von Kämpfen vorbeifliegen, Bilder aus seiner Jugend als Knappe, Bilder der Spielkameraden im Schlamm des heimischen Dorfes, Bilder von einer Holzschale mit Grütze, die er juchzend über dem Tisch verteilte, und  Bilder von den Brüsten seiner Mutter, a n denen er gierig saugte. Wallins Beobachtungen unterschieden sich davon nur unwesentlich.
    Als der Prinz das Krachen zweier Harnische auf dem gemauerten Fußboden und gleich im Anschluss ein klägliches Plärren vernahm, verlagerte er seine Konzentration auf den Hanfstrick an seinen Handgelenken. Kurz darauf waren die Pflanzenfasern wieder frisch und grün. Ein Ruck mit den Armen genügte, um die Fessel zu zerreißen. Twikus zog sich die Binde von den Augen.
    Die beiden Wachsoldaten lagen vor ihm rücklings am Bod e n. Ihre Körper hatten sich nicht verändert, aber ihre Köpfe waren die von Säuglingen. Während Rolaf brabbelnd mit seinen Zehenspitzen spielte, schrie der dicke Wallin nach der Muttermilch.
    Twikus konnte sein Glück kaum fassen, als er seinen Jagdbogen und den Pfeilköcher neben Klein Rolaf entdeckte. Offenbar hatte der Gardist die Trophäe dem König zeigen wollen. Der Prinz nahm die Waffen wieder an sich und warf den zwei großen Kindern einen mitleidvollen Blick zu.
    »Ihr habt euch den falschen Herrn ausgesucht. Merkt euch, nicht jeder, der Befehle gibt, verdient auch Gehorsam. Und hütet euch in Zukunft vor dem schnellen, aber unredlichen Lohn.«
    Damit wandte er sich von den beiden ab und lief den Flur hinunter.
    Die Luft in den Gängen war stickig. Kein Wunder, da es nur an der Außenmauer Fenster gab. Hinzu kamen die Öllampen, die in größeren Abständen das Labyrinth beleuchteten. Twikus gab sich nicht der Illusion hin, den Weg in Wikanders Gemächer durch Probieren herauszufinden. Nachdem er genügend Abstand zu den schreienden

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