Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
zurück. »Hat er das gesagt?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Natürlich hat es mir viel Freude bereitet, me i n Handwerk immer weiter zu vervollkommnen, aber letztlich war das nebensächlich.«
»Worum ging es dir dann?«
»Ich wollte die Welt verstehen, damit ich einen Platz in ihr finde.«
»Und… ist dir das gelungen?«
»Ja. Ich kehrte nach Hause zurück und übernahm die Schmiede meines Vaters. Meine Arbeiten wurden von jedermann geschätzt. Ich heiratete und wurde selbst Vater. Meine Tochter erzog ich darin, Den - de r- tut - wa s- ihm - gefällt anzubeten und die Mitmenschen zu respektieren. Nachdem ich durch die Welt gestreift war, wusste ich, dass mir zu Hause nichts fehlte. Ich war glücklich.«
Ergil senkte den Blick. »Bis mein Oheim diesem Glück ein End e machte.«
»So sah es lange aus. Heute verzehrt mich die Trauer um meine Familie nicht mehr, wie es anfangs gewesen war. Durch die Entbehrungen während meiner Reisen habe ich gelernt, mit wenigem zufrieden zu sein. Ich achte auf die alltäglichen kleinen Wunder, die ganz ohne Geld zu haben sind: einen Schmetterling auf dem Fenstersims, einen farbenprächtigen Sonnenaufgang, den Gesang der Nachtigall. All diese Schätze konnten den Verlust meiner Lieben zwar nicht aufwiegen, aber sie halfen mir dabei, ihn heute weniger drückend zu empfinden.«
»Dann empfiehlst du mir also zu reisen?«
Das runde Gesicht des Schmieds verzog sich zu einem milden Lächeln. »Das wird sich kaum vermeiden lassen, wenn du je die Sooderburg Wiedersehen willst, Ergil. Wichtiger als das Ziel ist jedoch der Weg. Lass dir Zeit. Ich weiß, das lässt sich für einen, der die ersten fünfundvierzig Lebensjahre fast schon hint e r sich hat, leicht sagen. Du bist jung und ungeduldig. Doch trotzdem solltest du nichts überstürzen. Dein Gefühl kann dich trügen. Du magst dich klein und schwach fühlen im Vergleich zu einem Gegner wie dem Großkönig, aber glaube mir: Nachdem ich gesehen habe, wie sich das Schwert in deinen Händen aufrichtete, traue ich dir mehr zu, als du dir vielleicht in deinen kühnsten Träumen auszumalen wagst.«
Nachdem Dormund seinen Rat so bedachtsam und fast zärtlich ausgesprochen hatte, verlegte er sich aufs Schwei g en. Nur das gelegentliche Knacken aus dem Kohlenbecken störte die Stille, die seine Worte nachwirken ließ. Ergils grüne Augen beobachteten die entspannte Miene des Schmieds noch eine ganze Weile, bis Falgons Seufzen dem Moment der Besinnung ein Ende setzt e .
»Wie machst du das nur, Dormund? Mich beschießt der Junge ohne Unterlass mit seinen Fragen und bei dir…« Er schüttelte den Kopf.
»Das liegt an der Abwechslung. Euch, Herr… Ich wollte sagen, dich hat er fast sein ganzes Leben um sich gehabt…«
Seid ihr je t zt endlich fertig? Lässt du mich jetzt mal das
Schwert anfassen?, meldete sich erneut Twikus’ Stimme.
Ergil stöhnte innerlich. Du kostest mich noch den letzten Nerv! Ohne Griff kannst du damit sowieso keine Heldentaten vollbringen.
Als deine Sinne vorhin das Schwert durchdrungen haben, konnte ich deine Gedanken erkennen, Bruderherz. Ich möchte gerne ausprobieren, worüber du nachgegrübelt hast Gib mir nur für einen Moment die Kontrolle über unseren Körper.
Meinetwegen. Aber führ dich mit dem Schwert nicht wie ein
Gernegroß auf, sonst nimmt es Falgon dir gleich wieder weg.
Danke, Brüderchen. Rück mal ein Stück zur Seite …
Die zwei Älteren, deren Gespräch sich immer noch um Fragen der Erziehung drehte, nahmen erst wieder von dem jungen Mann Notiz, als dieser si c h zu rühren begann. Sein Blick wanderte zu dem Schwert, durch das sich in kurzer Zeit so viel geändert hatte. Als Twikus die Arme nach der Waffe ausstreckte, verstummten sie. Er nahm das Griffstück und das Schwertblatt, legte sie erst über- und verschob sie dann so weit gegeneinander, bis die versetzten Zinken ineinander griffen. Nahtlos fügten sich beide Teile zusammen.
»So weit war ich schon ungefähr tausendmal«, sagte Dormund leise.
Twikus spürte die warme Klinge im Widerstreit mit dem kühlen Stahl des Griffs. Sie sträubten sich, eine feste Verbindung einzugehen. »Manchmal ergibt das Zusammenfügen zweier Dinge mehr als ihre Summe«, murmelte er.
Der Schmied sah Falgon verständnislos an.
»Ergil sagt ständig so komische Sachen«, brummte der Waldläufer. »Er i s t ei n Denker.«
»Ich bin doch Twikus«, widersprach der Prinz.
Falgon stöhnte und auf das Gesicht des Schmieds trat wieder
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