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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Säule gehorchte ihrem eigenen Takt: mal bog sie sich vor, mal verharrte sie, dann wieder glitt sie zurück, um gleich darauf in eine andere Richtung zu entschwinden. Obwohl die einzelnen Felsfinger wie störrische Kinder die meiste Zeit nur ihrem eigenen Willen zu gehorchen schienen, steckten sie doch ab und zu ihre Köpfe zusammen, als wollten sie untereinander ein neues Spiel beraten. Diese Augenblicke der Zwe i samkeit waren in ihrer Dauer nicht vorherzusehen, in jedem Fall sehr kurz und zweifellos die einzige Gelegenheit, um von einer Stütze auf die nächste zu gelangen.
    Jetzt kamen auch Twikus Zweifel. Zijjajims Licht reichte nicht aus, um das Ende dieses schwankenden Pfades auszumachen.
    »Laut Harkon Hakennase sind es sechsundsechzig Pfeiler«, bemerkte Dormund, als wolle er seinen Führer noch zusätzlich verunsichern.
    Das schaffen wir nie!, jammerte Ergil.
    »Wir müssen ganz dicht zusammenbleiben«, mahnte Falgon. I c h glaube, du hast Recht, sagte Twikus im Stillen.
    »Denkt einfach, ihr müsst einen Bach auf einer Kette von  Steinen überqueren«, empfahl Schekira.
    »Ich würde mich hüten, so was zu tun, wenn die Felsen ständig wie Fische hin und her huschen«, klagte Twikus.
    »Richte deinen Sinn auf den ersten Stein. Ergil wird dir helfen.« In der hellen Stimme der Elvenprinzessin schwang nicht der geringste Zweifel.
    »Aber bitte schnell!«, mahnte Falgon. »Zijjajims Licht scheint die Soldaten zwar erschreckt zu haben – sie zögern –, aber wer weiß, wie lange noch.«
    Mach die Augen zu!, befahl Ergil.
    Hast du den Verstand verloren? Dann sehe ich ja nichts, erwiderte Twikus entsetzt.
     
    Denk einfach, du musst einen Fasan treffen, der sich in einem  Busch versteckt hat.
    Widerstrebend geho r chte Twikus. Seine Lider schützten ihn nur unvollkommen vor Himmelsfeuers Licht. Ansonsten sah er nichts. Die Empfehlung seines Bruders ein wenig abwandelnd, setzte er den imaginären Fasan auf die Spitze der ersten Felsnadel.
    Mit einem Mal gewahrte er einen Schatten, der sich von links nach rechts bewegte, einen Moment stehen blieb, um gleich darauf zurückzugleiten.
    Um in ihren Rhythmus hineinzufinden, müssen wir sie durchdringen, flüsterte Ergils Stimme.
    Ich versuche es ja!, jammerte Twikus. Seine Augen w a ren jetzt fest zugekniffen.
    Allmählich tauchte ein ganzer Wald von Halmen vor ihm auf, nein, ein Spalier, das weiter reichte, als Zijjajims Licht es ihm zeigen konnte. Er war vor Jahren einmal an einer tiefen Stelle des Baches getaucht und hatte am Grund P flanzen gesehen, die sich in der Strömung ganz ähnlich bewegten. Träge schwangen sie hin und…
    Sie leben! Ergils mentale Stimme überschlug sich fast. Jetzt kann ich es fühlen. Die steinernen Säulen leben! Nimm meine Hand, Twikus, dann wirst du es auch spür e n.
    Das war eher bildlich gemeint. Aber der Angesprochene verstand durchaus, was sein Bruder meinte. Er drängte die Wahrnehmungen seiner Ohren, Augen und der anderen Sinne zurück, bis er endlich eine Einheit mit Ergils Geist und den Säulen bildete. Ja, sie lebten! Harkon Hakennase, der oft belächelte Abenteurer hatte Recht. Der größte Abgrund von Mirad war ein lebendiges Wesen und die Brücke Wankelmut seine Verbindung zur Außenwelt.
    Mit einem Mal begriffen die Zwillinge, warum das Wiegen der steinernen Nade l n so unstet war. In der Schlucht zogen und
     
    verschoben sich Zeit und Raum, ähnlich wie die Häuser und Türme in Fungors Straßen sich zu bewegen schienen. Jetzt, wo die Brüder diese Verzerrungen wahrnahmen und ihr Bewusstsein sie gewissermaßen gerade biegen konnten, schwangen die Felsfinger so ruhig, so vorhersehbar wie das gleichmäßige Heben und Senken der Brust eines schlafenden Riesen.
    »Seid ihr bereit?«, flüsterte Twikus, ohne die Augen zu öffnen. Falgons Antwort klang fast ebenso leise, wenngleich auch unüberhörbar drängend.
    »Schon längst. Die Stadtwache kommt übrigens wieder näher.«
    »Der Pfeiler schwingt heran. Jetzt können wir übersetzen«, sagte Dormund aufgeregt.
    »Nein!«, zischte Twikus und riss die Hand hoch. »Noch nicht . Wartet…«
    Die steinerne Nadel b ewegte sich auf den Rand des Abgrunds zu. Ein mahlendes Geräusch erklang, als sie ihn berührte. Dann blieb sie stehen.
    Spätestens in diesem Moment begriffen die Verfolger, was die Fliehenden tun wollten, denn sie rückten nun schneller vor.
    »Wartet…«, mahnte Twikus noch einmal.
    »Aber wir müssen jetzt…« Falgon verstummte, weil die Felsenplattform

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