Mirad 02 - Der König im König
Organ.
»Haltet endlich Euren Mund!«, flüsterte Twikus eisig. Er zielte, weil der Zoforoth Nishigo als Schild benutzte, auf Kaguans Kopf, und als er sich so sicher war, wie er in dieser verzweifelten Situation nur sein konnte, hörte er einen lauten Ruf.
»Halt! Nicht schießen!«
Twikus zögerte. Seine Augen blieben geschlossen, das Ziel weiter anvisiert. Die befehlsgewohnte Stimme gehörte weder dem Obersten der Leibwache noch Kaguan.
»Ein gutes Dutzend Pfeile sind auf Euch gerichtet. Lasst sofort den Bogen sinken!«, sagte derselbe Sprecher, jetzt aus größerer Nähe.
Twikus stöhnte, ließ den Bogen sinken und während er sich umdrehte, öffnete er die Augen.
Da kam ein Mann auf ihn zu, der, zog man das ehrerbietige Verhalten der Soldaten in Betracht, kein gewöhnlicher Mensch sein konnte. Jeder Susaner im näheren Umkreis verbeugte sich so tief, wie es ihm seine Gelenke erlaubten; einige schafften es fast, ihre Fußspitzen mit der Nase zu berühren.
Der offenkundig ziemlich wichtige Mann gelangte etwa vier Schritte vor dem jungen Bogenschützen zum Stehen. Hinter ihm huschten einige Leibgardisten herbei und errichteten mit unglaublicher Geschwindigkeit aus ihren Langschilden ein kleines Podest, das er unverzüglich bestieg.
Dank seiner gedrungenen Statur schien er für derartige Akrobatik wie geschaffen. Seine Bewegungen wirkten unaufgeregt, würdevoll, aber nicht schleppend, ja jugendlich, obwohl er schon deutlich über fünfzig sein musste; trotzdem zeugten sie von enormer Kraft.
Er war in ein golddurchwirktes langes Gewand aus orangefarbener Seide gehüllt. Seine Kopfbedeckung ähnelte einem Langschiff mit einer Hütte in der Mitte – das Ganze wurde quer zur Blickrichtung getragen. Eine schwere goldene Kette stand im Begriff, aus seinem Ausschnitt zu rutschen. Im Fackellicht glitzerte daran ein ungewöhnlicher Anhänger: eine Phiole, also ein kleines birnenförmiges Glasgefäß mit langem, engem Hals. Darin schwappte bei jeder Bewegung eine bernsteinfarbene Flüssigkeit. Mindestens so auffällig wie dieses Schmuckstück war seine Leibbinde, eine Art Schal, mehrfach um die Körpermitte gewickelt, der funkelte wie pures Gold und dessen Enden fast bis auf den Boden reichten. Die Füße des hohen Herrn steckten in Schnabelschuhen, die um einiges prunkvoller waren als die Ausführung, die man den Königen von Soodland zugebilligt hatte.
»Wie könnt Ihr es wagen, das Leben meiner Tochter zu gefährden?«, fauchte er, nachdem er auf dem Stapel aus Schilden seinen Schwerpunkt gefunden hatte. Er rang erkennbar um Selbstbeherrschung, konnte aber weder ganz den Zorn aus seinem Gesicht noch die Sorge aus den mandelförmigen Augen verbannen.
Auch ohne diese Frage hatte Twikus schon gewusst, wer da vor ihm stand. Er verbeugte sich, wenn auch längst nicht so tief wie die Untertanen des Mazars von Susan. »Es liegt nicht in meiner Absicht, Nishigo auch nur ein Haar zu krümmen. Im Gegenteil. Ich will sie aus der Hand dieser Kreatur retten.«
»Ich nehme an, dieses verwandlungsfreudige Wesen ist das blutrünstige Gespenst aus der Schmiede der Bartarin.«
»Blutrünstig vielleicht. Aber Kaguan ist ein Zoforoth, ein Geschöpf aus Fleisch und Blut. Ich habe ihn schon einmal verletzt und wenn Ihr mir nur einen einzigen Schuss mit dem Bogen gewährt…«
»Auf keinen Fall«, unterbrach der Mazar den König. Ohne weiter auf Twikus zu achten, wandte er sich der Brücke zu und rief: »Wie ich hörte, ist Euer Name Kaguan.«
»Und Ihr dürftet der Vater des Täubchens sein, dem ich gleich die Gurgel durchschneiden werde«, gab der Zoforoth unbekümmert zurück.
Der Mazar riss die Hand hoch. »Haltet ein, Kaguan! Ich will Euch einen Handel vorschlagen.«
Der Chamäleone lachte leise. »Wie mir scheint, ist der Herr geschäftstüchtiger als sein Kettenhund. Lasst hören!«
»Ihr gebt meine Tochter frei und ich lasse Euch dafür abziehen.«
»Was für ein glänzender Einfall, Mazar Oramas. Sieht man einmal von dieser klitzekleinen Unwägbarkeit ab.«
»Wovon redet Ihr?«
»Wer sagt mir, dass Eure Bogenschützen mich nicht mit einer Salve eindecken, sobald ich Eure Tochter freigelassen habe?«
»Ich gebe Euch mein Ehrenwort.«
»Das könnt Ihr Euch sonst wo hinstecken.«
Der Mazar schwankte auf dem Schildhügel, sein Mund klappte auf, aber es kam keine Antwort heraus.
Twikus hörte den General murmeln: »Der hässliche Schuppenmann hat gerade sein Todesurteil unterschrieben.«
Unterdessen erlangte der
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