Mirad 02 - Der König im König
gefehlt, und dir wäre es wie deinem Bruder… « Popi riss, weil seine Rechte immer noch den König stützte, die Linke vor den Mund. Er konnte sehen, wie sein Gefährte das Gedächtnis wiedererlangte und sich dann Schrecken einstellte.
»Twikus ist tot«, flüsterte Ergil, während er stöhnend den Oberkörper aufrichtete. Dabei fiel sein Blick auf die leere Phiole, die von seinem Hals baumelte. Mit einem versonnenen Ausdruck griff er danach.
Popi sah betreten zu Boden. »Ich wusste mir nicht anders zu helfen, deshalb habe ich dir das Lebenselixier eingeflößt. Mir war angst und bange, weil du vor deiner Ohnmacht gesagt hast, dein Bruder sei fortgegangen. Ich wollte nicht, dass du ihm folgst, wohin auch immer er gegangen ist.«
»Ins Haus der Toten«, sagte der König mit bebender Stimme. »Ich kann fühlen, dass er nicht mehr da ist. Hätte er doch nur auf mich gehört! Inimai hat uns gewarnt, ihren Stärkungstrunk mit Besonnenheit zu benutzen. Aber Twikus hat sich übernommen. Er hat…« Ergil schüttelte verzweifelt den Kopf und fügte leise hinzu: »Er hatte keine andere Wahl. Entweder Magos hätte uns umgebracht oder wir wären für immer von ihm geknechtet worden.«
Popi sah wieder auf, legte seine Hand auf Ergils Schulter und drückte sie sanft. »Es tut mir so Leid. Wenn doch nur ich an seiner Stelle wäre…!«
»Sag so etwas nicht!«, fiel Ergil ihm ins Wort. »Twikus und ich kannten den Preis, den jeder bezahlen muss, der den dunklen Gott bezwingen will – ich wünschte nur, die Legende wäre nichts als ein Märchen gewesen.«
»In deinem Fall hat sie ja auch geirrt«, gab der Knappe zu bedenken.
Ergil sann einen tiefen Atemzug darüber nach. Dann nickte er. »Und das verdanke ich dir, Popi. Jetzt kennst du deine Bestimmung. Du hast einem Freund das Leben gerettet. Und weißt du was? Mir geht es wie dir: Ich würde sonst was dafür geben, wenn Twikus jetzt an meiner statt hier sein könnte und…«
Ohne seinen Gedanken zu Ende zu führen, erhob sich der König unvermittelt und so schwungvoll, als habe er in der vergangenen Stunde nur sanft geschlummert. Dabei fiel sein Blick auf den Bogen, den Popi in der Höhle hatte liegen lassen. Trotzig raffte er ihn vom Boden auf und kroch durch den schmalen Spalt ins Freie.
Popi folgte ihm. Als er seinen Herrn draußen mit wehendem Mantel stehen sah, wunderte er sich. Ergil hatte einen der letzten Pfeile, die noch im Köcher verblieben waren, auf die Bogensehne gelegt. Während er auf den einzigen Baum in weitem Umkreis – die verkrüppelte sechsfingrige Zoforothkralle – zielte, brachen sich erkennbar Trauer und Verzweiflung Bahn.
»Twikus war mutig«, stieß er hervor. Tränen rannen ihm übers Gesicht. »Nie zauderte mein Bruder, wenn er glaubte, das Richtige zu tun. Er konnte kämpfen. Und er traf nie daneben.«
Trotzig ließ Ergil die Sehne los. Der Pfeil sauste etwa hundert Fuß weit durch die Luft und blieb im äußeren Ast des Krallenbaumes stecken.
»Genau in den Daumen«, staunte Popi.
»Nur ein Versehen«, antwortete der Schütze, während er sich mit einem überraschten Ausdruck auf dem Gesicht seinem Knappen zuwandte.
Popi bemerkte natürlich die von Tränen glänzenden Augen und war geneigt, sich dem Urteil seines Herrn anzuschließen. Trotzdem antwortete er mit fester Stimme: »Was zu beweisen wäre.«
Ergil sah ihn verwundert an. »Weißt du, dass Twikus genau dieselben Worte gegenüber Magos benutzt hat?« Hierauf entnahm er dem Köcher einen weiteren Pfeil, legte ihn auf die Sehne, zielte und ließ ihn davonsirren.
Das Geschoss bohrte sich zitternd in den kleinen Ast, der dem »Daumen« gegenüberlag.
Popi traute seinen Augen nicht. Er beobachtete, wie sein Herr den Inhalt des Köchers überprüfte.
»Vier sind noch da«, murmelte dieser. Dann schoss er mit unglaublicher Schnelligkeit genauso oft auf die hölzerne Zoforothkralle. Als sein Vorrat erschöpft war, steckte in jeder »Fingerkuppe« ein Pfeil. Entgeistert wandte Ergil sich dem Knappen zu. »Offenbar hat mir mein Bruder ein Vermächtnis hinterlassen.«
33
DER EISDOM
Die Nacht in der Spalte unterhalb des Vulkankraters war für den wiederbelebten König und seinen Retter nur bedingt erholsam. Beide schliefen wenig, weil der Kitora unablässig rumorte, der Wind immer wieder stickigen Rauch in die Höhle drückte und sowieso einer von beiden Wache halten musste. Man konnte ja nicht wissen, wie sich Kaguan den weiteren Verlauf seines Lebens
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