Mirad 02 - Der König im König
am Ohr kitzelte –, und ein Unglück würde geschehen. In diesem nervenaufreibenden Moment ergriff plötzlich Múria das Wort.
»Ihr scheint uns ja bereits zu kennen. Nun hätten wir gerne Euren Namen erfahren«, sagte sie freundlich. Sie wirkte wie die Ruhe in Person.
Der Zwerg blinzelte sie von unten herauf an. Ihre Gelassenheit schien ihn zu verunsichern. Schließlich schnarrte er: »Nennt mich Gondo.«
»Und Ihr seid der Anführer dieses bunten Völkchens?« Sie machte mit der Hand eine raumgreifende Geste.
»Das will ich wohl meinen.«
»Seid Ihr ein Zwerg?«
»Väterlicherseits. Ich bin ein Zwergling, weil meine Mutter eine Wagg war und…« Der Kleine schüttelte sich, als sei Múrias Freundlichkeit ein Zauber, gegen den er sich wehren müsse. Gebieterisch fügte er hinzu: »Doch jetzt genug geplaudert, Dame Múria.«
»Was habt Ihr mit uns vor, Gondo?«
Der Zwergling breitete seine erstaunlich großen Hände aus. »Das wird sich zeigen. Zunächst binden wir euch alle schön fest und beraten uns. So ein oder zwei Monate kann das schon dauern. Wenn ihr Glück habt, lassen wir euch gegen ein Lösegeld wieder frei. Und falls es nicht so gut für euch läuft, dann dürft ihr meinen Männern ein paar vergnügliche Stunden bereiten. Ihr werdet staunen, wie viele Arten des Schmerzes es gibt.«
Man darf sich nicht dem Trugschluss hingeben, das Gefesseltsein an einen Zungenbaum sei eine bequeme Folter. Zweifellos ist das Fell des Stammes weicher als eine knorrige Rinde, doch was nützt das schon, wenn man sich nicht rühren kann? Bald wird das Stillsitzen zur Qual und die beachtliche Wärme im Rücken führt zu Überdruss, weil jeder kühlende Luftzug fehlt. Ergil und seine Gefährten – sie waren auf insgesamt drei Stämme verteilt – erlebten diese Tortur mit wachsendem Unbehagen.
Nach Einbruch der Dunkelheit kamen dann noch die aufdringlichen Zungen hinzu. Die beweglichen Blätter senkten sich immer tiefer herab, bis sie endlich die Gefangenen berührten. Einige Zungenspitzen fuhren ihnen nur übers Gesicht, andere tasteten gleich ihre ganzen Körper ab. Für die Gefährten war das eine wie das andere gleichermaßen scheußlich.
Die Neugierde der tierischen Bäume schien den Räubern nicht fremd zu sein. Sie hatten sich auf einer nahen Lichtung um mehrere Lagerfeuer versammelt, wo sie lautstark ihren erfolgreichen Beutezug feierten. Die Hitze hielt das dreiste Blattwerk auf Abstand. Nur ein einzelner Wagg mit zwei Köpfen, drei Beinen und einer Riesenaxt hockte bei den Gefangenen und schlug ständig nach den kecken Zungen wie nach lästigen Insekten.
Ergil hörte ein Flattern. Kurz darauf landete ein Käuzchen neben ihm.
»Kira?«, flüsterte er.
»Wie geht es dir, mein Retter?«, erwiderte die Elvin leise.
»Ich hätte nie gedacht, wie grausam es ist, sich nicht richtig bewegen zu können.«
»Es tut mir Leid, euch in diese Lage gebracht zu haben. Anscheinend hat der Wald auch meine Sinne verschleiert, sonst hätte ich die Räuberbande…«
Der Wagg hatte das Gewisper bemerkt und keifte: »Ruhe, sonst setzt’s was!«
Ergil lehnte den Kopf an den Stamm und starrte seinen Wächter wütend an. Múria und Falgon waren am Baum links von ihm gefesselt, auf der anderen Seite saßen Dormund und Popi. Sie verhielten sich ruhig. Nach einer Weile spürte der junge König, wie etwas an ihm emporkletterte. Es war eine Spitzmaus. Von seiner Schulter reckte sie sich zu seinem Ohr nach oben.
»Soll ich deine Fesseln durchknabbern?«, piepste sie.
Ergil spähte zu dem Wachposten hinüber, der gerade von einer vorwitzigen Blattzunge abgelenkt wurde, und schüttelte den Kopf. »Ich könnte sie mühelos in einen morschen Strick verwandeln und zerreißen. Aber selbst wenn es uns gelänge, zu fliehen, hätten wir die Bande mit ihren Pfeilen auf den Fersen. Ich zerbreche mir schon seit Stunden den Kopf, wie wir sie loswerden können.«
»Schweigt endlich still!«, bellte der Wagg. Die aufdringlichen Zungen hatten ihn offenbar reizbar gemacht. Gestützt auf die langstielige Waffe hievte er seinen plumpen Leib in die Höhe, lief dreibeinig zum gefesselten König und drückte ihm die schartige Schneide der Doppelaxt an die Kehle. Während der rechte Kopf des Ungeraden zu den Feuern hinüberspähte, grinste der linke dem Gefesselten frech ins Gesicht.
»Soll ich Euch Euren erlauchten Hals durchschneiden, Majestät? Der Chamäleone hat es uns überlassen, was wir mit Euch anstellen, solange wir Euch an Eurer
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