Mirad 02 - Der König im König
Weiterreise hindern. Ich denke, ohne Kopf dürfte Euch das schwer fallen und ich hätte endlich meine Ruhe.«
Der Wagg holte zum Schlag aus.
»Was wird Gondo dazu sagen?«, rief unvermittelt Múria. Obwohl sie ihre Stimme kaum erhoben hatte, schwang darin etwas Machtvolles, das den Ungeraden innehalten ließ.
Einen Moment lang stand er da wie versteinert. Seine beiden Gesichter starrten die gefesselte Geschichtsschreiberin an. Allmählich schienen ihre Worte in seinen Verstand zu sickern. Die Erwähnung des Hauptmannes ließ seine drei Knie weich werden. Die Streitaxt sank kraftlos zu Boden. Er war besiegt, aber seine Niederlage machte ihn nur noch zorniger. Mit einer verzerrten Grimasse schob er den linken Kopf dicht vor Ergils Gesicht und zischte: »Wollt Ihr nicht fliehen, Majestät? Dann darf ich Euch töten. Gondo hat’s erlaubt. Überlegt es Euch. Wenn ich noch einen Mucks von Euch höre, dann nehme ich das als ein Ja.«
Der Gestank aus dem Rachen des Waggs war überwältigend. Dennoch trotzte Ergil erhobenen Hauptes dem Blick der boshaften kleinen Augen, die ihn unverwandt fixierten, während sich der Wächter zu seinem Baum zurückzog und sich erneut zu Boden sinken ließ. Erst als er sich wieder mit zwei Zungenblättern auseinander setzen musste, wagte der König einen Seitenblick auf seine Meisterin. Nur mit den Lippen formte er das Wort »Danke«.
Unvermittelt bemerkte er unter sich eine Bewegung. Verwirrt blickte er auf seine Schulter, wo nach wie vor Schekira in der Gestalt einer Spitzmaus saß. Doch jetzt spürte er auch im Rücken etwas. Es fühlte sich an, als würde ein Dutzend Schlangen an seinem Körper entlangwandern. Sie krochen unter dem Umhang empor bis zu seinem Hals. Ein unangenehmes Ziehen machte ihm klar, wer da zum Leben erwacht war. Im nächsten Moment brauste ein vielstimmiges Gezwitscher in seinem Kopf.
Nisrah? Ergils Gedankenstimme schrie förmlich, um den Lärm zu übertönen.
So etwas passiert, wenn man seinen Gespinstling allein lässt, tönte umgehend die Antwort in seinem Geist.
Die Zungenbäume sind so laut. Ich kann dich kaum verstehen.
Es ist ihr Übermut, den du vernimmst. Ein bisschen auch ihr Missbehagen. Sie mögen es nicht, wenn man unter ihren Kronen Feuer macht.
Woher willst du das wissen?
Meine Fühler sind gerade im Pelz deines Nachbarn vergraben. Er hat es mir erzählt.
Du kannst mit ihnen reden?
Ja, auf meine Weise. Warte einen Moment. Ich will etwas probieren.
Ergil spürte erneut den leicht ziehenden Schmerz, als sich Nisrah wieder von ihm abnabelte. Im selben Moment verstummte der Lärm des Zungenwaldes. Wieder kam Bewegung in den Umhang. Nisrah versuchte offensichtlich unter seinem Gespinstling hervorzukriechen. Sein Netzkörper streckte sich und zog sich an anderer Stelle zusammen. Endlich schob sich der Lebensknoten des Netzlings an Ergils Hals ins Freie. Als beide Köpfe des Wächters wieder einmal mit der Abwehr der neugierigen Zungen beschäftigt waren, glitt Nisrah vollends heraus und verschwand hinter dem Baum.
»Wo will er hin?«, flüsterte Ergil.
Die Spitzmaus hüpfte von seiner Schulter in den Pelz des Baumes, um dem Netzling zu folgen. Wenig später war sie wieder zurück.
»Der Weberknecht schleicht oben durchs Geäst. Er bewegt sich auf den Wächter zu.«
Ergil versuchte mit den Augen die schwingenden Blattzungen zu durchdringen, aber das von den Lagerfeuern herüberflackernde Licht reichte dazu nicht aus. Hoffentlich wusste Nisrah, was er tat. Zumindest handelte er nicht überstürzt. Die Zeit zog sich zäh dahin und der Weberknecht blieb verschwunden.
Aber dann, zunächst fast unmerklich, bemerkte Ergil doch eine Veränderung. Sie betraf das Rauschen des Waldes. Es klang nicht mehr so wirr wie zuvor, sondern glich nun immer mehr dem regelmäßigen Wellengang eines Ozeans. Instinktiv begriff der Sohn der zwei Völker, was da geschah.
Die Bäume sprachen miteinander. Sie stimmten sich auf irgendetwas ein.
Jetzt schien auch der doppelköpfige Wagg das rhythmische An- und Abschwellen bemerkt zu haben. Er stellte sich auf seine drei Füße und lauschte mit vier Ohren in den Wald. Ergil bemerkte, wie ein erschreckter Ausdruck auf die beiden Gesichter des Wächters tat. Er riss Augen und Münder auf.
Plötzlich fiel ein Schatten auf ihn herab.
Ehe der Wagg einen Warnruf von sich geben konnte, waren seine zwei Köpfe und Hälse schon fest von Nisrah umschlungen. Ergil hatte schon einmal gesehen, wie die Weberknechte jagten, und
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