Mirad 02 - Der König im König
Heimat antreten konnten. Tantabor wollte das Tor zum Hain der Pyramiden nicht unbewacht lassen und sei es auch nur, um König Gondebars Boten abzufangen und seine Warenlieferungen zu plündern.
Der achtzehntägige Ritt durch das Zentralland von Ostgard gestaltete sich einfacher als ursprünglich erwartet. Unter den Soodländern vermisste niemand seinen Pelzmantel, weil das frühlingshafte Klima die hinter ihnen liegenden Eis- und Schneewüsten schnell vergessen machte. Rasch gewöhnten sie sich an die bunt zusammengewürfelte Tracht, die man ihnen gegeben hatte, und fühlten sich selbst bereits fast wie Vogelfreie. Von weiteren Überfällen blieben sie verschont, weil Tantabors wilde Gesellen »gewöhnliche Räuberbanden« fern hielten. Und wenn königliche Patrouillen nahten, dann schlug Schekira rechtzeitig Alarm, sodass man ihnen weiträumig ausweichen konnte.
Ähnlich verfuhr übrigens Kaguan, dessen Späher den weißen Krodibos einige Zeit nach Südosten gefolgt war, bis er sich der Absichten ihrer Reiter sicher wähnte. Allmählich schrumpfte der Abstand zwischen dem Zoforoth und seinen Verfolgern wieder und kurz vor den Stadtmauern von Ostgard hatten sie ihn fast eingeholt.
Als Schekira von ihrem jüngsten Erkundungsflug zurückkehrte, führte gerade Twikus das Regiment über den gemeinsamen Königskörper. Ihr Bericht versetzte ihm einen Dämpfer.
»Als ich Kaguan zum letzten Mal gesichtet habe, war er nicht mehr als fünf Meilen von den Stadttoren entfernt.«
»Wie kann das sein? Gestern hatten wir ihn fast eingeholt.«
»Wahrscheinlich ist er die Nacht über durchgeritten.«
»Ob sein Späher uns doch entdeckt hat?«
»Zumindest wird ihm der Gapa von den rasch aufholenden Reitern berichtet haben. Kaguan mag es für klüger halten, einer Begegnung mit uns aus dem Weg zu gehen, wer immer wir auch sind.«
»Wie dem auch sei. Jetzt kann er in einer riesigen Stadt untertauchen. Wir müssen sofort den anderen davon erzählen.«
Unverzüglich wurde eine Rast eingelegt und der Kriegsrat einberufen. Nach kurzem Meinungsaustausch einigte man sich auf folgendes Vorgehen: Da Ostgard für die Vogelfreien ein zu gefährliches Pflaster war, würden sie sich an Ort und Stelle von ihren soodländischen Gefährten trennen. Aller Wahrscheinlichkeit nach beabsichtigte Kaguan ein Schiff nach Silmao zu besteigen. Das vereinfachte die Suche enorm. Man würde von nun an ohne die Hilfe der wilden Gesellen auskommen müssen.
Tantabor hatte sich damit schwer getan, seine Schutzbefohlenen so überstürzt ziehen zu lassen. Ernsthaft erwog er, sich von seinen Leuten abzusetzen und sich an der Jagd auf den Zoforoth zu beteiligen. Sein Pflichtgefühl zerrte ihn zwischen den eigenen Männern und der »Gemeinschaft des Lichts« hin und her. Letztlich war es Twikus, der das Pendel zugunsten der Rechtlosen ausschlagen ließ. Sie brauchten jetzt ihren Anführer, sagte er und betonte den unschätzbaren Dienst, den die Vogelfreien den Gefährten schon erwiesen hätten. Und so verabschiedete man sich, nachdem Versprechen ausgetauscht worden waren von einem Wiedersehen in einer besseren Zeit.
Ostgard tat sich nicht gerade durch Reinlichkeit hervor, vielmehr stank die Stadt zum Himmel, sehr zu Schekiras Missbehagen. Die Sonne stand im Zenit und ließ erahnen, welch bestialische Gerüche erst ein Sommertag aus den Abfällen und Fäkalien in der Gosse hervorzulocken vermochte.
Wenigstens war die Durchquerung des Stadttores für Twikus und seine Begleiter ohne Zwischenfall verlaufen. Die Wachen hatten sie im Gedränge wohl nicht einmal wahrgenommen. Jetzt säumten halb verfallene ein- oder zweistöckige Häuser ihren Weg, während sie sich auf ihren Pferden durchs Gewühl der engen Gassen bewegten. Ostgard war ein wildes Land, bewohnt von wilden Menschen.
Das Tragen von Waffen aller Art gehörte hier zum guten Ton. Tantabor hatte einmal erzählt, dass selbst der unentwegt um sein Leben bangende König Godebar es aufgegeben hatte, seinen Untertanen diesen Brauch zu verbieten. Während die Frauen und Kinder der Stadt mit ihren schwarzen, grauen und erdfarbenen Gewändern eher einen stillen Wettbewerb im Unsichtbarwerden auszutragen schienen, putzten sich die Männer – abgesehen von der schweren Bewaffnung – mit gezwirbelten Schnurrbärten, breiten, nietenbesetzten Brustriemen, kostbaren Pelzmützen und runden Zierdolchen heraus. Letztere waren Twikus auch aus anderen Regionen des Herzlandes bekannt. Die Kopfbedeckungen dagegen
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