Mirad 02 - Der König im König
konzentrieren, der sich in seiner Nähe befand. Twikus hatte lustlos das Harpyienwesen vorgeschlagen, was Ergil für einen weniger guten Einfall hielt. Selbst Schekiras scharfe Falkenaugen vermochten die Kreatur am Himmel über Ostgard nirgends auszumachen und er bezweifelte arg, dass sie sich hier irgendwo am Boden versteckt hielt. Nein, er dachte nicht an den Gapa, sondern an ein anderes Geschöpf, das dem Zoforoth während der letzten Wochen so nah wie kein anderes gewesen war.
Das Drachenross.
Er musste sich nur mit seinem Bruder und Nisrah im Hintergrund halten. Wenn sie im Verborgenen blieben, indem sie ihre Kraft allein zur Stärkung Múrias gebrauchten, dann sollte es ihr auch gelingen, das rote Pferd aufzuspüren.
Der Hafen von Ostgard bestand aus einem langen, gepflasterten Kai, der von einem trutzigen, runden Wachtturm beherrscht wurde, gleichsam dem zu Stein gewordenen erhobenen Zeigefinger der königlichen Gewalt von Ostrich zur Abschreckung für Schmuggler und Diebe bei den Anlegestellen sowie zum Erspähen feindlicher Schiffe auf dem Fluss. Dem Aussehen nach glich die graubraune, aus Findlingen errichtete Landmarke indes eher einem Daumen: gedrungen, stabil und stark. Jenen, die in seinem Schatten ihren ehrlichen Geschäften nachgingen, vermittelte er ein Gefühl von Sicherheit.
Zahlreiche Schiffe lagen am Kai, um ihre Waren zu löschen, neue Fracht zu bunkern sowie die Passagiere ein- und aussteigen zu lassen. Auch einige Flussfischer waren bereits vom Fang zurückgekehrt und schleuderten vom Deck aus die hölzernen Kisten mit der Ausbeute des Tages direkt in die Arme ihrer auf dem Damm stehenden Kameraden. Andere verkauften ihre Waren direkt vom Boot. Möwen versuchten zu ergattern, was absichtlich oder unbedacht fallen gelassen wurde. Ihre schrillen Schreie mischten sich mit den Stimmen von Flussfahrern, Fischverkäufern, Kunden und anderem Volk.
»Und in diesem Durcheinander sollen wir einen einzelnen Mann aufspüren?«, stöhnte Popi.
»Nein, einen Chamäleonen. Genauer gesagt, sein Ross«, erwiderte Twikus leise. Er stand hinter dem Knappen und suchte mit Blicken den Hafendamm ab.
Die Gefährten befanden sich am westlichen Ende des Kais, von wo aus die meisten Menschen auf den Hafendamm drängten. Zuvor hatten sie ihre Pferde etwas abseits des geschäftigen Treibens für ein geringes Entgeld in einem Stall untergestellt. Vom weiteren Verlauf des Nachmittags würde abhängen, ob sie die Tiere vor der Einschiffung nach Silmao verkauften oder ob sie mit einem schwarzen Kristallschwert in ihre Heimat zurückkehren konnten.
»Auch wenn ich mich wiederhole«, sagte Falgon, »diesmal dürfen wir dem Zoforoth keine Gelegenheit geben, ein Lied der Macht anzustimmen. Wir müssen ihn so schnell wie möglich kampfunfähig machen. Natürlich versuchen wir, jedes Blutvergießen zu vermeiden, aber sollte es hart auf hart kommen, wird er mit meinem Eisenholzspeer und mit Biberschwanz Bekanntschaft machen. Du zeigst uns lediglich, wo sich sein Drachenross befindet, Inimai. Der Rest ist Männersache.«
Múria verdrehte die Augen zum Himmel. »Ja, ja, mein Lieber. Ihr echten Kerle werdet die Welt schon retten.« Sie wandte sich Twikus zu und deutete mit dem Kopf zu einem nahen Torbogen, der in eine schmale Gasse führte. »Wie wär’s, wenn wir da hinübergehen? Von dort kann man die Anlegestellen gut überblicken und ist trotzdem nicht mitten im Getümmel.«
Wie auf ein geheimes Stichwort löste sich die Gruppe auf. Falgon, Dormund und Popi schlenderten unabhängig voneinander zu den Kontoren, die beiderseits der Gasse lagen. Als wäre der Müßiggang ihre wichtigste Beschäftigung, lehnten sie sich an die Hauswände, verschränkten die Arme über der Brust und widmeten sich der Betrachtung des bunten Treibens. Múria und ihr Schüler begaben sich, ebenfalls getrennt, zu dem Durchgang. Zwei oder drei Schritte hinter dem Torbogen fanden sie wieder zueinander und fassten sich bei den Händen.
Ein Greis mit einem großen Korb auf dem krummen Rücken schlurfte an ihnen vorbei in die Gasse hinein. Argwöhnisch beäugte er das Paar.
»Der Alte fragt sich bestimmt, ob wir Mutter und Sohn oder ein etwas ungleiches Liebespaar sind«, kommentierte Múria schmunzelnd den Blick des Mannes.
Twikus lächelte. Noch vor einem Jahr hätte ihre Äußerung ihm, dem für die schönste Frau Mirads schwärmenden Jüngling, die Schamröte ins Gesicht getrieben, jetzt empfand er für seine einstige Amme eine Zuneigung ganz
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