Mirad 02 - Der König im König
haben, denn plötzlich sammelten sich Menschentrauben vor dem Palast und skandierten die Namen von Ergil und Twikus. Die Brüder wurden vom Volk als Bezwinger der Wasserwalze, als Retter der Stadt und als Helden des Tages gefeiert. Jeder wollte sie sehen. Nach Ysga verlangte niemand.
Nun interessierte sich auch König Godebar für die Besucher aus dem westlichen Nachbarland.
Der Herrscherpalast von Ostgard glich einer gigantischen Jurte. Wie die Zelte der Steppenbewohner war er rund, jedoch an die zweihundert Fuß hoch. Das weit gespannte Kuppeldach besaß zahlreiche Lichtöffnungen. Unter einigen gab es zauberhafte Innenhöfe mit üppig wuchernden Pflanzen, andere waren mit buntem Glas gefüllt, so auch im Zentrum, wo die farbigen Rundfenster eine riesige Rosette bildeten, unter der sich der Thronsaal befand.
Mit seiner beachtlichen Körperfülle wirkte Godebar in seinem Herrschersessel wie ein Erwachsener auf einem Kinderstuhl. Der König von Ostrich war an die sieben Fuß groß und annähernd genauso breit. Er trug einen Mantel aus goldverzierter scharlachroter Seide. Sein massiger Kopf war kahl. Die dunklen Schweinsäuglein des Monarchen musterten den Kommandanten der Hafenwache, der einmal mehr seinen Bericht wiederholte und sich dabei ordentlich ins Zeug legte, für sich wenigstens eine Beförderung herauszuschlagen.
Um das Podest mit dem Thron standen im Halbkreis hochlehnige Stühle, auf denen die Staatsgäste Platz genommen hatten. Die Könige von Soodland teilten sich einen Sessel. Dieser stand dem Herrschersitz genau gegenüber.
Twikus schäumte vor Wut, weil Ysga nicht müde wurde, die Wichtigkeit der eigenen Person im nachmittäglichen Geschehen zu betonen. Ergil war froh, die Kontrolle über den gemeinsamen Körper innezuhaben, denn sonst wäre es womöglich zu Handgreiflichkeiten gekommen. Mäßigend redete er auf seinen Bruder ein und machte ihm die blutige Bilanz des Tages bewusst: Hätten sie Kaguan nicht herausgefordert, würden dutzende von Menschen noch leben. Als hierauf Godebar ein paar unangenehme Fragen stellte, die in dieselbe Richtung zielten, wurde der Hitzkopf ganz still.
Wie es überhaupt zu dem Vorfall gekommen sei, wollte der fette König wissen. Múrias Botenfalke habe Kunde von einem Zoforoth überbracht, der um jeden Preis aufgehalten werden solle. Handele es sich bei diesem »Schergen des Magos« und bei Kaguan um ein und dieselbe Person? Habe sich der Chamäleone denn bedroht gefühlt? Sei er nach wie vor im Besitz des Schwertes Schmerz?
Ergil hatte Godebar bis dahin nur aus Tantabors Schilderungen gekannt. Demnach war der König von Ostrich ein gewissenloser Tyrann, der vor keiner Schandtat zurückschreckte, um die eigene Macht und seinen Reichtum zu mehren. Als er die schwarze Kristallklinge erwähnte, wuchs daher Ergils Misstrauen. Augenscheinlich waren nicht nur die Pandorier hinter dem unheilvollen Ding her.
Ihm wäre es am liebsten gewesen, wenn Múria dem durchtriebenen Machthaber Rede und Antwort gestanden hätte. Sie genoss sogar hier, weit östlich von ihrem üblichen Wirkungskreis, den Ruf einer Weisen und Wunderheilerin. Jedoch verrieten, obwohl man sie mit Respekt behandelte, viele Äußerungen des Königs und seiner Höflinge die tief in der Tradition des Landes verwurzelten Vorbehalte gegen Frauen. Weil Ergil fürchtete, man könne andererseits ihm seine Jugend als Schwäche auslegen, und er zudem wegen der schrecklichen Ereignisse am Hafen noch viel zu aufgewühlt war, hatte er Falgon zum Unterhändler der soodländischen Krone bestimmt.
Der alte Kämpe nahm selten ein Blatt vor den Mund, selbst nicht bei einer Audienz wie dieser, wo sich die Gesandten fremder Höfe üblicherweise in geschliffenen, unverbindlichen Worten ergingen. Hier indes bewies der Waffenmeister einmal mehr seine große Erfahrung. Geschickt stellte er Kaguan als Bedrohung für Ostrich und für das ganze Herzland dar. Die verheerende Wasserwalze sei nur ein Vorgeschmack dessen, was man unter einem neu erstarkten Magos zu erwarten habe. Ergil und Twikus dagegen hätten bewiesen, dass ihnen das Wohl aller Menschen, auch jener in Ostrich, am Herzen lag. Ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten, die nach Wikanders Tod den Sechserbund zu zersprengen drohten, müsse man daher nun eine Allianz gegen den dunklen Gott schmieden. Die Chancen stünden gut, jetzt da das Volk auf den Straßen Torlunds Söhne hochleben ließ.
Ergil glaubte das Unbehagen Godebars zu spüren. Einem missgünstigen und
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