Mirad 02 - Der König im König
ehrsüchtigen Tyrannen konnte es nicht gefallen, wenn seine Untertanen andere Namen als die ihres Herrschers priesen. Allzu gerne hätte er wohl die Helden des Tages als eigentliche Verursacher des Unglücks entlarvt. Doch Falgon hatte die Begeisterung der Massen und Godebars Fragen nach den Hintergründen des »Spuks am Hafen« schlau in einen Appell zum Schulterschluss gegen den gemeinsamen Feind umgemünzt. Tatsächlich wäre es wohl nicht zu dem Unglück gekommen, wenn die Gemeinschaft des Lichts sich von Kaguan fern gehalten hätte. Aber darüber verlor der soodländische Unterhändler kein Wort. Hinterher war man bekanntlich immer klüger.
Vermutlich hatte der Zoforoth sein Drachenross im Schutz der Dunkelheit auf das Schiff bringen wollen. Aber dann war er von seinen Verfolgern entdeckt worden. Um das Kristallschwert nicht zu gefährden, opferte er das Tier und das im buchstäblichen Sinne des Wortes: Die pandorische Handelsmission lag in Trümmern. Doch nicht sie allein. Die über Fluss und Hafendamm hinwegziehende Wasserwalze hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Zahlreiche Gebäude waren regelrecht eingeebnet worden. Außerdem zerstörte sie sämtliche Schiffe am Kai. Am schlimmsten waren jedoch die Verluste an Menschenleben. Helfer hatten bereits mehr als vierzig Leichen aus den Trümmern und dem Fluss geborgen. Die dreifache Anzahl Personen wurde noch vermisst. Und mehr als zweihundert waren verletzt.
Während Twikus das Geschehene sehr geschickt verdrängte, indem er sich mit Ysgas Kränkungen beschäftigte, litt Ergil unter dem Druck seines Gewissens und machte sich Vorwürfe. All das Leid und die Verwüstungen wären der Stadt erspart geblieben, wenn sie Kaguan irgendwo anders gestellt hätten. Die Ungewissheit machte dem König zusätzlich zu schaffen. Als der Zoforoth unter Deck des Schoners geschafft wurde, hatte er sich bewegt. War er seinen Verletzungen erlegen oder bald wieder auf den Beinen? Erst als Falgons Stimme einen fordernden Ton annahm, kehrte Ergils Aufmerksamkeit zum Gespräch zurück.
»… Eure Bräuche in allen Ehren, Majestät, aber zwei Tage Trauer sind zwei Tage zu viel. In der Zwischenzeit wird der Vorsprung des Chamäleonen uneinholbar sein. Wir brauchen jetzt ein Schiff, um ihn zu verfolgen.«
Die wulstigen Lippen Godebars verzogen sich zu einem bedauernden Lächeln. »Ich verstehe Euch ja, Waffenmeister Falgon, aber Ihr verlangt Unmögliches von mir. Alle Schiffe in Ostgard sind zerstört.«
»Es war noch früher Nachmittag, als der – wie habt Ihr es genannt? – ›Spuk‹ losging. Bis dahin hatten erst wenige Fischerboote am Kai festgemacht.«
Godebar breitete die Hände aus. »Wollt Ihr einen Zweimastschoner mit einem dickbäuchigen Kaag verfolgen?«
Falgon kraulte sich den Kinnbart. Da hatte der aufgeblähte Monarch sogar Recht. Sie brauchten ein schnelles Schiff.
Ergil räusperte sich. Sogleich wandten sich ihm sämtliche Gesichter zu. »Majestät«, sagte er so respektvoll, wie es ihm beim Anblick des gekrönten Halunken möglich war, »Ostrich hat seit Generationen die Ostgrenze des Sechserbundes gegen Susan verteidigt. Außerdem kam mir zu Ohren, Rebellenbanden zwängen Euch, mehr Männer unter Waffen zu halten, als in Friedenszeiten nötig wäre. Es müsste doch möglich sein, einen Botenfalken nach Osten zu schicken, um das Schiff des Zoforoths notfalls mit Gewalt aufzuhalten.«
Der feiste Monarch lächelte nachsichtig. »Ich will Euch zugute halten, dass Ihr noch jung und unerfahren seid, Majestät. Sonst wüsstet Ihr, wie schwierig es ist, gerade in Zeiten wie diesen das empfindliche Gleichgewicht der Mächte nicht zu stören. Es gibt Abkommen und Verträge, die eingehalten werden müssen. Vielleicht habt Ihr es nicht gewusst, aber der fragliche Schoner segelt unter pandorischer Flagge. Ihn zu entern käme einer Kriegserklärung an unseren südlichen Nachbarn gleich.«
»Das ist nicht Euer Ernst! Wenn der Zoforoth sein Ziel erreicht, dann wird es bald weder ein Ostrich noch ein Pandorien mehr geben.«
Die oberflächliche Freundlichkeit wich schlagartig aus dem teigigen Gesicht. Godebars Stimme klang mit einem Mal kühl. »Eurer Mutter wurden ja allerlei Hexenkünste nachgesagt. Habt Ihr von Vania auch die Wahrsagerei geerbt?«
Ergil spürte aus seinem Innern einen heißen Groll aufsteigen. Ehe er jedoch etwas Unbedachtes erwidern konnte, ergriff Múria das Wort. Ihre Stimme klang ruhig und dennoch Respekt einflößend.
»König Godebar, ich
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