Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
zu einer Unterhaltung in Hochmiradisch fähig – für sie eine »tote Sprache«, die sie aber dennoch als willkommene Abwechslung schätzten –, hier jedoch wollte er es nicht darauf ankommen lassen, seine Bewacher wie Dumpfbacken aussehen zu lassen.
Auf dem Weg ins Zentrum von Xkisch schlossen sich immer mehr Stadtbewohner dem Gefangenen und seinen Bewachern an. Die wenigsten waren gallegrün gefärbt, was nichts Gutes bedeutet hätte. Vielmehr übertrafen die Schaulustigen sich in unterschiedlichsten Tönungen und Mustern. Die schräg stehende Sonne zauberte liebliche Reflexe auf ihre vom Schleim glänzenden Leiber (nur kranke Xk waren stumpf). Harkon schöpfte Hoffnung.
Die gepflasterte Straße war mustergültig eben, aber so krumm wie ein Lindwurm (ob ihrer Eintönigkeit galten gerade Linien bei den Wurmlingen als verpönt). Um seine Begleiter bei Laune zu halten, machte Harkon bewusst kleine Schritte. Gewöhnlich liefen Wurmlinge nicht besonders schnell, da sie keine Füße im eigentlichen Sinne besaßen. Vielmehr konnten sie das untere Ende ihres biegsamen, röhrenförmigen Körpers in eine Wellenbewegung versetzen, die ihren Körper langsam rotieren ließ und ihn zugleich voranschob. Nur bei Gefahr oder anderen außergewöhnlichen Umständen machten sie sich die nützliche Eigenschaft ihrer Körper zu Eigen, »Spontangliedmaßen« auszubilden.
Dieser von Harkon erfundene Ausdruck bezieht sich auf Körperausstülpungen, die dem jeweiligen Zweck entsprechend unterschiedlich dick und lang sein können. Manche waren, wie wir bereits wissen, mit Sprühdrüsen ausgestattet, andere konnten zu sehr feinfühligen Greifwerkzeugen umfunktioniert werden, dritte wiederum hatten einen Saugnapf am Ende, mit dem der Wurmling mehr oder minder glatte Gegenstände oder sich selbst festzuhalten vermochte.
Allmählich gelangte die Prozession in den Regierungsbezirk der Stadt. Hier waren der Königinnenpalast und verschiedene öffentliche Einrichtungen untergebracht, darunter auch die Universität. Weil die Xk nichts mehr verabscheuten als die Wiederholung bekannter Formen, boten die Gebäude dem ungeübten Auge wenig Orientierungspunkte. Alles sah aus, als habe ein kleiner Junge Papierkügelchen im Mund zerkaut, wahllos aufeinander geklebt und später mit den Farben des Regenbogens betupft. Weil die Häuser auch ständig erweitert oder umgebaut wurden, erkannte Harkon von seinem früheren Aufenthalt in der Stadt absolut nichts wieder.
Nach einer weiteren Windung der Straße gelangte der Tross auf einen großen, unregelmäßig geformten Platz, auf dessen gegenüberliegender Seite ein riesiges Gebäude stand, das wie ein knallbunter Termitenbau aussah: der Königinnenpalast.
Der Gefangene staunte. Nicht etwa, weil ihn die Residenz besonders beeindruckt hätte, sondern weil er davor ein gigantisches Standbild sah, dessen Ausgestaltung ihn so befremdete. Es handelte sich um einen, überwiegend aus rotem Granit gefertigten, liegenden, kolossalen Wurmling mit erhobenem, gelbem Vordersegment. Diesem fehlten jedoch die vier großen Augen und der haarumsäumte Saugnapf. Stattdessen saß ein Menschenkopf darauf.
Und diesen zierte Harkon Hakennases Konterfei.
Das vom Sonnenlicht durchtränkte Riesenhaupt verriet dem Kenner sogleich, woraus es gefertigt war. Nur erstarrter Xkschleim hatte diese typische, gelblich trübe, an gerade noch durchscheinendes Baumharz erinnernde Konsistenz. Harkon fand, dass er recht gut getroffen war.
Mittlerweile musste das auch einigen anderen aufgefallen sein, denn im näheren Umkreis vollzogen sich mehrere radikale Farbwechsel, die auf größere Gemütsschwankungen hindeuteten. Aufgeregtes Zischen, Gurgeln und Schmatzen ging durch die Menge. Aus den Bewachern löste sich ein großer Xk – wohl der Anführer der Eskorte –, schob seinen umfänglichen Körper näher an Harkon heran und gab sich alle Mühe, diesen aus mindestens drei seiner Augen zu mustern.
»Da trockne mir doch der Schleim weg! Seid Ihr das wirklich?«, brach es aus dem Wurmling hervor, was ein wenig so klang, als schöbe jemand im Mund beim Sprechen eine Hand voll gut zerkauter Kirschen hin und her. Ansonsten war sein Hochmiradisch zwar altertümlich, aber durchaus verständlich.
Der Gefragte deutete mit dem Kopf auf sein größeres Ebenbild und antwortete: »Ihr meint Harkon Hakennase, der Königin Sfinx und ihrem wissensdurstigen Volk vor zweihundert Jahren die Kultur der Menschen näher brachte?« Er grinste. »Ich schätze,
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