Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
das Goldpflaume überhaupt nicht gut zu sprechen war. Sie fing jämmerlich zu weinen an. Dabei schüttelte es ihren unsichtbaren Leib, dass immer wieder Blätter aus dem Kleid herausrieselten.
»Bitte beruhigt Euch doch!«, flehte Ergil sie an. »Ich habe Pollen mitgebracht. Aus Saphira, der großen Stadt der Sirilim. Dort gibt es noch einen Ginkgomann, der ebenso gut im Saft steht wie Ihr.«
Schlagartig hörte das Gejammer auf. »Du machst dich jetzt nicht über mich lustig, oder?«
Ergil öffnete die Linke, aus der er zuvor den Blütenstaub eingeatmet hatte. Er wusste zwar nicht genau warum, aber darin befanden sich jetzt die grünen Ähren mit den kleinen Pollensäckchen. Er hielt sie Goldpflaume entgegen und fragte: »Haltet Ihr das für einen Scherz?«
Offenbar hatte die Ginkgofrau dicht am Wasser gebaut, denn sie begann abermals zu weinen.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, wollte Ergil wissen.
»Nein«, schluchzte Goldpflaume. »Ganz und gar nicht. Ich bin nur so glücklich, dass es mich fast wie ein Blitz zerreißt. Und wie ich sehe, stammen die Pollen sogar von Herzblatt, dem Vater aller Ginkgos. Ich bin sprachlos.«
Das Gefühl hatte Ergil zwar nicht, aber ein wenig überrascht war er doch, dass ausgerechnet die ältesten Ginkgos das große Sterben überlebt hatten. Weil Goldpflaume schon wieder schluchzte, räusperte er sich.
Sie verstummte. »Ja, mein Retter?«
»So nennt mich schon eine andere. Bitte sagt einfach Ergil zu mir. Ich wollte eigentlich wissen, wie wir das mit der – äh – Bestäubung – äh – beschleunigen können.«
»Beschleunigen? In sieben Monaten beginnt meine Blütezeit. Ist Euch das nicht schnell genug?«
Ergil machte ihr in knappen Worten klar, warum das eine Ewigkeit war, die er nicht abwarten konnte. »Ich bin, wie Ihr wisst, ein Sirilo. Es wäre mir ein Leichtes, einige Eurer Blüten wieder erblühen zu lassen. Aber ich will in dieser Sache nichts falsch machen.«
»Euch, mein Retter, würde ich fast alles erlauben«, erklärte Goldpflaume mit rauchiger Stimme.
»Und es schadet Euch nichts? Ich meine, außerhalb der üblichen…«
»Nicht doch«, unterbrach sie ihn. »Ich will endlich wieder Kinder haben.«
»Könnte ich dann auch die Entwicklung Eurer Früchte – äh – beschleunigen?«
»Mit der Alten Gabe?«
»Ja.«
»Wir sprechen hier von werdendem Leben, lieber Freund. Manches braucht eben seine Zeit«, antwortete sie ausweichend, als wolle sie ihn nicht enttäuschen.
Er blieb jedoch hartnäckig. »Wie viel Zeit?«
»Dreieinhalb bis vier Monate.«
Alle Luft schien seinem Körper zu entweichen. »So lange? Geht es nicht ein bisschen schneller? Ich würde Euch auch helfen.«
Goldpflaume zögerte. Mit einem Mal stahl sich ein Lächeln auf ihr hölzernes Gesicht und sie antwortete: »Naja, ein ganz klein wenig könnte ich mich mit der Hilfe eines so tatkräftigen jungen Sirilo gewiss beeilen.«
Einige Stunden später standen Ergil und Nishigo unter dem Ginkgo, um gemeinsam die »heilige Handlung der Bestäubung« zu vollziehen. Am Rand des Wiesenrunds saßen auf thronartigen Stühlen: für die susanische Seite Oramas III. einige hohe Vertreter seines Ministerrats, ein Hofschreiber, Oberst Koichi und der Medikus Mujo; Soodland war vertreten durch die Gemeinschaft des Lichts, zu der jetzt auch wieder Dormund gehörte. Tiko spielte insofern eine Sonderrolle, da er beiden Gruppen zugehörig war.
Ergil fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, von so vielen Augen beobachtet zu werden. Er hätte diese Aufgabe viel lieber allein mit Nishigo erfüllt. Doch er hatte sich der Logik von Oramas’ Argumenten nicht verschließen können. Der Mazar meinte, es sei ein hochsymbolischer Akt und keine Privatsache, wenn der König von Soodland und die Prinzessin von Susan gemeinsam dem heiligen Ginkgo die Fruchtbarkeit zurückgäben.
Nishigo trug ein etwas bescheideneres Gewand als in der letzten Nacht. Ihr Haar war am Hinterkopf zu einer Art Rosette zusammengesteckt. Das Gesicht wirkte weniger blass wie am Vorabend. Wie immer war sie entzückend. Umso mehr jetzt, wo sie Ergil anlächelte.
»Der Ginkgo heißt tatsächlich Goldpflaume?«
Er nickte. »Er ist ja eine Dame. Eine sehr… gefühlvolle: Mal ist sie überschwänglich heiter, im nächsten Moment bricht sie in Tränen aus.«
Nishigos braune Augen fixierten in schneller Folge verschiedene Punkte in Ergils Gesicht. Dann schmunzelte sie verschmitzt. »Ein bisschen beneide ich sie für die
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