Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
machte er sich am Unterkiefer seiner Mutter zu schaffen. Er kam sich enorm ungeschickt vor.
Múria hatte längst den Kristallstöpsel aus der Phiole gezogen, wartete aber geduldig, bis er so weit war. Ohne Hast ließ sie das Wasser von Silmao durch den langen schlanken Kristallhals in Vanias Mund fließen. Sie achtete sorgfältig darauf, keinen Tropfen zu verschütten.
Vor Anspannung vergaß Ergil zu atmen. Hatte Mujo, der Leibarzt des Mazars, den Ginkgosaft und den pulverisierten Xkschleim im richtigen Verhältnis gemischt? Konnte das Wasser von Silmao seine Mutter ins Leben zurückholen? Oder war es zu spät, waren alle Mühen umsonst…?
Mit einem Mal hob sich Vanias Brust über einem tiefen Atemzug. Danach hustete sie. Und schließlich öffnete sie die Augen.
»Inimai!«, sagte sie mit schwacher Stimme.
Jetzt musste auch Múria weinen. Sie schob sich noch weiter auf den Diwan, schlang ihre Arme um Vanias Hals, küsste sie stürmisch auf beide Wangen und wiederholte immer wieder die Worte: »Meine Schwester! Meine liebe Schwester!«
Auch der König bebte vor Freude. Am liebsten hätte er laut geschluchzt vor Glück. Stattdessen ließ er seine Mutter behutsam auf das fliederfarbene Kissen zurücksinken. Jetzt erst trafen sich ihrer beider Blicke. Er sah sie allerdings nur sehr verschwommen durch seinen Tränenschleier hindurch.
Sie lächelte ihn liebevoll an. »Wie groß du geworden bist! Ein richtiger Mann. Du bist Ergil, nicht wahr?«
Er nickte und ehe er sich’s versah, hatte Vania ihn zu sich herabgezogen, um ihn zu küssen, ihn zu umarmen und ihm mit der Hand durch die blonden Haare zu fahren. Er kam sich wie ein kleiner Junge am Busen seiner Mutter vor und es fühlte sich wunderbar an. Zärtlich rieb er ihr mit dem Ärmel einen dunklen Schmutzfleck von der Wange – Ruß aus der Schmiede, dachte er. Hiernach wischte er sich selbst mit dem Handrücken Tränen und Rotz aus dem Gesicht, bevor er sagte: »Ich habe deinen Brief gelesen. Woher wusstest du, dass ausgerechnet ich ihn finden würde?«
»Ich weiß nicht. Wärst du damit zufrieden, wenn ich dir sagte, dass du schon immer der Findigere von euch beiden gewesen bist?«
Ergil wechselte einen Blick mit Múria, ehe er antwortete: »Es hätte doch auch ein ganz anderer kommen können.«
»Ja. Aber ich war überzeugt, dass nur einer meiner Söhne mich finden wollte und konnte. Wenn du willst, dann kannst du es Mutterinstinkt nennen. Wir Sirilim wissen manchmal, dass Dinge richtig sind, ohne sie erklären zu können. Haben Twikus und du das nie festgestellt?«
Ergil unterdrückte den Impuls, wieder seine Meisterin anzusehen.
»Wie geht es deinem Bruder?«, fragte Vania.
Sein Herz hörte auf zu schlagen. Entsetzt starrte er sie an, hatte er doch geglaubt, ihre mütterliche Intuition hätte ihr bereits die ganze traurige Wahrheit verraten. Aber das war offensichtlich nicht der Fall. Erneut wurde er von seinen Gefühlen durchgeschüttelt. Er presste mit aller Kraft die Augen zu, konnte aber nicht verhindern, dass neue Tränen sich ihren Weg bahnten. »Er ist tot! Magos hat ihn ermordet«, würgte er schließlich heraus.
Tiefe Stille trat ein.
Ergil kam sich vor, als fiele er in einen dunklen Abgrund. Er wünschte sich blind zu sein, um nicht die Trauer im Gesicht des Menschen zu sehen, der ihm so unendlich viel bedeutete. Eben erst war sie ins Leben zurückgekehrt und schon konfrontierte er sie mit dem vielleicht Schlimmsten, das einer Mutter widerfahren konnte: dem Tod ihres eigenen Kindes… Plötzlich spürte er eine warme Berührung an der Wange. Er öffnete die Augen.
Es war Vanias Hand, die ihn tröstete. Er spürte, wie ihr Daumen über sein Gesicht wischte. »Schwarze Tränen?«, sagte sie.
Zunächst verstand er sie nicht. Aber dann zog sie ihren Arm zurück und zeigte ihm den Handteller und die abgespreizten Finger. Sie waren feucht und so schwarz wie Ruß.
Überrascht betrachtete er seinen eigenen Handrücken, mit dem er sich gerade noch übers Gesicht gefahren war. Das gleiche Bild: schwarze Tränen. »Was hat das zu bedeuten?«
»Etwas Dunkles«, antwortete sie. »Etwas Dunkles, das in dir war, aber von deinen Tränen hinausgewaschen wurde. Ich habe diese Art von Tränen in meinem Leben nur einmal gesehen, bei einem Sirilo, der sich ein Menschenalter lang der Meditation über das Licht gewidmet hatte.« Ihr Blick wechselte zu Múria und die Heilerin nickte.
»Die Zornissen?«, entfuhr es Ergil.
Vanias Hände griffen nach seiner
Weitere Kostenlose Bücher