Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
gegangen ist?«
»Das haben wir Oramas I. zu verdanken. Er regierte, als die Krankheit alle Ginkgos dahinraffte. Der Mazar war schon vorher wegen seiner Strenge gefürchtet worden, aber während der Plage erließ er einen Befehl, der ganz Susan in Schrecken versetzte. Er gab den Ginkgogelehrten eine Frist von sechzig Tagen, um dem Sterben der Bäume ein Ende zu machen. Sollte es ihnen nicht gelingen, werde er sie öffentlich hinrichten lassen.«
»Und?«
»Landauf, landab gaben sich die ›Hüter des heiligen Ginkgos‹ alle Mühe, aber sie scheiterten. Weil ein Mazar sein Wort nie bricht, ließ Oramas I. sie ohne Ausnahme enthaupten.«
Ein Schauer lief Ergil über den Rücken. Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Je mehr ich über dein Land und seine Sitten erfahre, desto rätselhafter kommt es mir vor. – Wenigstens ist mir jetzt klar, wie ein Großteil des Wissens über den Baum verloren gehen konnte.«
Tiko nickte. »Als die Blütezeit des Ginkgos vorüber war, wurde das ganze Ausmaß des Schadens sichtbar. Der uralte Mutterbaum trug keine Frucht mehr. Oramas I. versuchte danach zu retten, was zu retten war. Seine Abgesandten reisten durchs ganze Reich und schrieben alles auf, was man noch über die Ginkgos wusste, aber es war trotzdem im Vergleich zu dem ursprünglichen Wissensschatz nicht mehr als eine Hand voll kleiner Münzen.«
Dormund, der sich lange nur den schmerzenden Kopf gerieben hatte, sagte: »Dein Oheim Ulam hat mir mal erzählt, Harkon Hakennase sei etliche Generationen später vom Mazar zu einer geheimen Mission ausgesandt worden. Das hatte nicht zufällig etwas mit dem Ginkgo zu tun, oder?«
»Und ob!«, antwortete Tiko. »Das war zur Regierungszeit von Atamas dem Großen, der den Abenteurer aus dem fernen Stromland sehr bewunderte. Niemand hatte je so viele Länder gesehen und besaß so viel Wissen über die Welt wie Harkon. Außerdem hielt sich am Hof von Silmao hartnäckig das Gerücht, er suche nach einem Jungbrunnen, nach irgendeinem Mittel, durch das er ewiges Leben erlangen könne.«
»Dann leuchtet mir allerdings ein, warum der Mazar ihn so verehrte. Hat Harkon ihm mit dem Wasser von Silmao weiterhelfen können?«
»Na ja, es ist überliefert, dass Atamas ihn voller Hoffnung empfing, aber Harkon ihn zunächst enttäuschen musste. Er wisse nicht, wie der letzte Ginkgobaum wieder fruchtbar gemacht werden könne, soll er freiheraus gesagt haben. Aber dann erzählte ihm Atamas mehr über den Leben spendenden Saft und weckte damit das Interesse des Weltreisenden. Harkon glaubte sogar, endlich eine Spur des Jungbrunnens gefunden zu haben. Und weil Atamas ihm nicht die letzte Phiole des Elixiers verkaufen wollte, machte er sich auf die Suche nach gesunden, Frucht tragenden Ginkgos und nach der verloren gegangenen Rezeptur für das Wundermittel. Der Mazar ließ sogar ein Schiff für ihn ausrüsten, bemannt mit den mutigsten und besten Seefahrern des Landes. Man erzählt sich, die Segel der Ginkgoblüte hätten die Farbe von Bernstein besessen, damit Harkon immer das goldgelbe Leuchten des ›Wassers‹ vor Augen sehe.«
»Ich nehme an, die alte Hakennase wollte den unbekannten Kontinent finden, von dem in einigen uralten Sagen die Rede ist, die angestammte Heimat der Sirilim.«
Tiko hob die Schultern. »Klingt einleuchtend. Aber davon weiß ich leider nichts.«
»Dann hätte er geradewegs nach Osten segeln müssen. In seinen Reiseberichten erwähnt er nicht das Geringste davon; ich habe sie alle gelesen.«
»Kein Wunder. Er ist ja von dieser Expedition nie zurückgekehrt.«
»Oh!«
»Das ist der Grund, weshalb ich dir wenig Hoffnung machen kann. Entweder Harkon hat sein Elixier gefunden und lebt mit seinen Begleitern glücklich und zufrieden in einem fernen Land jenseits unserer Welt oder seine Bark ist mit Mann und Maus untergegangen.«
»Die Möglichkeit eins können wir wohl ausschließen«, brummte Dormund.
Ergil bedachte ihn mit einem mürrischen Blick. »Wieso bist du dir da so sicher?«
Der Schmied zuckte die Achseln. »Sie klingt zu märchenhaft.«
»Vielleicht gibt es ja noch eine dritte Möglichkeit: Harkon Hakennase könnte zwar gefunden haben, wonach er suchte, aber auf dem Rückweg verschollen sein.«
Tiko schob die Unterlippe vor. »Was macht das für einen Unterschied?«
»Vielleicht keinen«, murmelte der König, während er sein linkes Ohr knetete, weil es glühend heiß war. »Möglicherweise aber auch den alles entscheidenden.«
»Was soll denn das
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