Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
leichte Zittern seiner Stimme verriet, wie aufgewühlt er innerlich sein musste. »Ich würde dir so gerne Hoffnung machen, Ergil, aber ich weiß nicht, ob ich es kann.«
»Bedeutet das, du kennst auch niemanden, der noch einen Rest des Wassers von Silmao besitzt?«
»Wenn du mich so fragst – nein. Allerdings bin ich nur ein Schmied und will mich nicht erkühnen, auf diesem Gebiet sehr beschlagen zu sein.«
»Am besten, du erzählst einfach, was du darüber weißt.«
Tiko atmete tief durch, dann öffnete er für den König und Dormund die Schleusen seiner Erinnerung.
Wie sie bereits wüssten, sei das so genannte »Wasser von Silmao« im Wesentlichen aus dem Saft des Goldfruchtbaumes – des Ginkgos – hergestellt worden. Es gehe auf eine uralte Rezeptur zurück, die von den Sirilim stammte, jedoch später verändert wurde. Weil das Alte Volk Krankheiten wie Erkältungen, Magenverstimmungen oder gar Pest nicht kannte, benutzte es den Ginkgosaft lediglich zur Beschleunigung der Heilung bei Verletzungen und zur allgemeinen Hebung des Wohlbefindens. Von Menschen wurde er jedoch schlecht vertragen.
Der Überlieferung nach sei es Mazar Ugunu gewesen, der den Menschen jene ursprüngliche Langlebigkeit zurückgeben wollte, die nur noch die Sirilim besaßen. Er soll von seinem Vorhaben regelrecht besessen gewesen sein. Auf sein Geheiß reisten Gelehrte in alle Welt hinaus, um Zutaten zu sammeln, mit denen der Ginkgosaft verträglicher und in der erhofften Weise wirksamer gemacht werden könne. Eine fünfköpfige Abordnung soll er sogar in den Grünen Gürtel geschickt haben, um Jazzar-siril persönlich um Rat zu fragen. Lange hörte man nichts mehr von den Weisen und glaubte, sie wagten nicht mit leeren Händen heimzukehren. Aber nachdem gut drei Jahre ins Land gegangen waren, tauchte die Fünfergruppe doch wieder auf. Sie waren verlumpt und ausgezehrt, aber trotzdem überglücklich. Der König der Sirilim habe ihnen leider nicht helfen können, berichteten sie, aber trotzdem hätten sie es geschafft, eine entsprechende Ingredienz zu finden.
Das damit zusammengemischte Wundermittel wurde zunächst nur Todkranken verabreicht, weil man ihm anfangs nicht traute. Tatsächlich vermochte es die Kraft eines sterbenden Körpers für kurze Zeit zu erneuern: Die Dahinsiechenden lebten wieder auf. Mazar Ugunu und die Gelehrten waren außer sich vor Freude. Bald erwies es sich jedoch, dass die Wirkung des Mittels nur von kurzer Dauer war. Wenn der Organismus sich nach der Einnahme nicht selbst half, setzte sein Verfall bald wieder ein – bis zum bitteren Ende.
Bei den Sirilim, die von Natur aus mit einem fast unverwüstlichen Leben ausgestattet waren, wirkte das veredelte Elixier sogar besser als bei Menschen. Immerhin half es auch den Bewohnern Susans dabei, manche Vergiftung, Überanstrengung oder schwere Verletzung zu überwinden. Ernste Krankheiten, die sonst tödlich verlaufen wären, konnten dank des »Wassers« besiegt werden. Infolgedessen wurde der Ginkgo in den Rang eines heiligen Baumes erhoben.
»Was hat man dem Ginkgosaft denn beigemengt und wo wurde diese Zutat gefunden?«, fragte Ergil.
»Das weiß heute niemand mehr«, erwiderte Tiko.
»Wie das? Ich denke, die Ginkgokunde ist in deiner Heimat so etwas wie eine königliche Wissenschaft.«
»Ja, schon. Die Mazaren fördern sie, wo sie nur können. Aber das heutige Wissen der Gelehrten ist weniger alt und sehr viel lückenhafter, als du offenbar annimmst. Vor vielen Generationen befiel nämlich eine Krankheit die Ginkgobäume. Innerhalb weniger Jahre gingen sie alle ein. Nur einer blieb übrig.«
Ergil nickte. »Der Goldfruchtbaum im Palastgarten von Silmao ist nicht nur der letzte, sondern er muss auch der erste im ganzen Herzland gewesen sein. Vermutlich hat sogar Jazzar-siril ihn persönlich gepflanzt.«
»So berichtet es die Legende.«
»Das mag sein. Aber ich habe den Baum inmitten eines ganzen Hains von Ginkgos gesehen, während ich auf der Suche nach dem ›ewigen Schwarm‹ war. Als die Sirilim ihre Landungsflotte in der Zwischenwelt versteckt haben, hatte der Goldfruchtbaum schon dort gestanden, wo er heute noch ist.«
Tikos Mund blieb eine Weile offen stehen, ehe er die Sprache wiederfand. »Wenn du das gesehen hast, bist du wirklich ein Gesegneter.«
Ergil verzog den Mundwinkel. »Ich weiß nicht. Bis jetzt hat mir mein Sirilimerbe kein besonders ruhiges Leben beschert. – Wie kam es dazu, dass euer Wissen über die Goldfruchtbäume verloren
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