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Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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an ein großes Auge denken ließ. Das allerdings fest verschlossen war.
    »Der Turm der Heiligen ist normalerweise immer offen«, wunderte sich Jazzar-fajim.
    »Du weißt nicht zufällig, wo der Hausherr den Schlüssel versteckt?«
    »Es gibt keinen, gerade weil der Turm dem Wissen aller gewidmet und jedem jederzeit zugänglich war. Ich hörte zwar einmal…« Der Sirilo verfiel mitten im Satz in tiefes Grübeln.
    »Was hast du gehört, Oheim?«, fragte Ergil ungeduldig.
    »Zuletzt war der Turm zur Zeit Magons verschlossen worden, nicht mit einem Schlüssel der üblichen Art, sondern mit sieben Zapfenriegeln, von denen jeder in einer anderen Raumfalte verankert ist. Nur ein Meister der Alten Gabe kann sie öffnen.«
    »Hm«, machte Ergil. Das klang für ihn nach einem reizvollen Knobelspiel. Er überlegte, ob er sich an dem Rätsel versuchen sollte, beschloss dann aber, seine Kräfte zu schonen. Was vor ihm lag, dürfte noch anstrengend genug werden.
    An seiner Basis umgab den Turm eine flache Freitreppe wie eine Halskrause den Nacken eines pandorischen Magistrats. Ergil setzte sich auf eine der unteren Stufen. Jazzar-fajim nahm neben ihm Platz, stützte den linken Ellbogen auf seinen Oberschenkel und neigte den Unterarm leicht zur Seite. Ergil machte es genauso, nur seitenverkehrt. Ihrer beider Hände griffen ineinander. Weil damit zu rechnen war, dass der Ausflug mehrere Stunden dauern konnte, machten es sich die übrigen Gefährten ebenfalls auf der Treppe bequem. Schekira hockte sich in Gestalt eines Käuzchens zu Ergils Linker auf die Stufe.
    »Gebt mir nur eure Kraft, aber überlasst bitte mir die Führung«, sagte er zu seinem Oheim und – mit der Stimme des Geistes – zu Nisrah.
    »Keine Sorge. Bei dem, was du vorhast, bist du mir ohnehin weit voraus«, beruhigte ihn Jazzar-fajim.
    Und mir sowieso, fügte der Netzling für die anderen unhörbar hinzu.
    Tatsächlich war Ergil dem Stand eines Sirilimnovizen längst entwachsen. Er schloss die Augen und streckte seine unsichtbaren Fühler nach dem Turm der Heiligen aus. Binnen kurzem hatte er das Gebäude fest im Griff. Er durchdrang es vom Fundament bis zur Spitze und dabei machte er eine seltsame Entdeckung.
    Der Turm war leer. Nicht in dem Sinne, wie man es von einem ausgeräumten Haus erwarten würde. Vielmehr glich die Fassade des Gebäudes der abgelegten Haut einer Schlange. Das Innere dieser Hülle beunruhigte ihn. Es war auf eine schwer zu erklärende Weise für seinen Geist nicht greifbar. Als liege es außerhalb der Welt, nein, außerhalb des Universums.
    Ergil unterdrückte einen Schauer und kehrte nach draußen zurück, wo er sich an der Außenmauer emporbewegte. In luftiger Höhe ließ er seinen Geist verharren und folgte dem schnellen Wechsel der Jahreszeiten in die Vergangenheit. Anders als beim Knochenturm, der bereits vor Äonen verlassen worden war, lag Magos’ Sieg über die Sirilim erst knapp zweihundert Jahre zurück. Daher dauerte es nicht lange, bis unter ihm die Stadt erschien.
    Der Anblick war atemberaubend. Als habe der Wind plötzlich den Morgennebel fortgeweht, tauchten im Schatten des Turmes strahlend weiße Häuser und Paläste auf, baumbestandene Straßen und Plätze, Springbrunnen und steinerne Figurengruppen sowie Blumenbeete und wunderschöne Parks. Schon die exotische Schönheit von Silmao hatte Ergil in Staunen versetzt, aber Saphira war noch tausendmal prächtiger.
    »Ich sehe sie«, flüsterte Ergil aufgeregt, die Augen hielt er geschlossen. Er spürte, wie Jazzar-fajims Hand zuckte.
    Die Antwort des Sirilo war nur ein Flüstern. »Geh in die Zukunft, bis zu dem Zeitpunkt, wo Saphira verschwunden ist. Von dort folgst du ihr in die Zwischenwelt.«
    Er wisse selbst, was zu tun sei, hätte Ergil fast aufbegehrt, hielt sich dann aber zurück. Sich wie ein Dummkopf zu fühlen und gekränkt zu sein, nur weil man sich etwas Altbekanntes erklären ließ, gehörte wohl eher zu einem Gebaren, wie es von hungrigen Zornissen heraufbeschworen wurde. Er bezwang seine Verärgerung und rief sich ins Gedächtnis, wie er die Flotte der Sirilim in Silmao und ihren Knochenpalast auf der Sooderburgklippe gefunden hatte.
    Das Hier und Jetzt lässt sich mit einem riesigen Vorhang vergleichen, die Stadt Saphira mit einem davor hängenden bunten Seidentuch. Wenn dieses nun jemand durch ein Loch auf die andere Seite des Faltenwurfs zieht, dann entschwindet es dem Blick des Betrachters. Es ist aber immer noch da, irgendwo hinter der gewobenen Wand.

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