Mirage: Roman (German Edition)
überleben. Also wurde er stattdessen per Hubschrauber nach Cape Cod verlegt, in das alte Kennedy-Anwesen. Dort konnte er, von einer Gruppe von Marineärzten betreut, in einem richtigen Bett schlafen und bekam anständig zu essen. Fernsehen und Zeitungen waren ihm zwar verwehrt, doch wurden ihm Bücher, Musik und DVDs zugestanden. Zweimal täglich durfte er, wenn er es wünschte, am Strand entlangspazieren, während Froschmänner im flachen Uferwasser darauf achteten, dass er nicht versuchte, sich zu ertränken.
Dank dieser pfleglichen Behandlung verbesserten sich seine körperliche und seine psychische Gesundheit, desgleichen seine Stimmung. Als ein Nachrichtenoffizier namens Abd ar-Rahim at-Talib eintraf, um ihn zu befragen, war Lyndon B. Johnson gesprächsbereit.
AT-TALIB: Mr President, würden Sie mir bitte erklären, was die Domino-Theorie ist?
JOHNSON: So eine Idee William Westmorelands. Kissinger und McNamara waren nicht gerade wild darauf, in einen Bodenkrieg verwickelt zu werden, aber Westmoreland war Feuer und Flamme. Seine Theorie lautete, dass jedes Stück Land, das wir auf dem Weg nach Texas einnahmen, wie ein umfallender Dominostein sein würde, der uns half, den nächsten umzuwerfen, und hätten wir erst Austin erreicht, wäre unser Schwung so groß gewesen, dass wir einfach hätten weitermarschieren können, geradewegs bis zur Küste Kaliforniens. Das ganze Land unter ein gemeinsames Dach bringen, so wie Gott es beabsichtigt hatte.
AT-TALIB: Das ganze Land? Meinen Sie nicht: den ganzen Kontinent, Mr President?
JOHNSON: Das Land und der Kontinent sind eins, Mr at-Talib. Das ist Bestimmung.
AT-TALIB: Es hat den Anschein, als ob viele Ihrer Landsleute in spe das anders sahen.
JOHNSON: Sie meinen die Pfingstler? Es war ein Fehler, sich die als Erste vorzunehmen. Leute, die glauben, der Heilige Geist schenke ihnen magische Kräfte, tendieren zum Starrsinn. Dennoch wäre ich mir nicht so sicher in der Frage, was sie so oder anders sehen. Sie sind ein gläubiger Mann, Mr at-Talib. Stellen Sie nicht selbst manchmal fest, dass Sie gerade gegen die Dinge am verbissensten ankämpfen, die Sie in Ihrem Herzen für wahr erkannt haben?
AT-TALIB: Doch. Aber der Kampf, auf den Sie anspielen, ist keiner, der sich durch Gewalt gewinnen ließe. Zumindest glaube ich das nicht.
JOHNSON: Ich bedaure die Gewalt. Ich weiß, dass die Geschichtsbücher mich einst als Kriegstreiber darstellen werden, und das war nie meine Absicht. Ich habe nie etwas anderes getan, als mein Land zu verteidigen.
AT-TALIB: Aber empfinden Sie Reue?
JOHNSON: Natürlich. Ich habe das Blut Tausender Amerikaner an den Händen. Ich werde mich dafür vor Gott verantworten müssen, und zwar schon bald, und ich freue mich nicht gerade darauf.
AT-TALIB: Und was ist mit dem arabischen Blut, Mr President? Was ist mit den Tausenden, die in Bagdad getötet wurden und …
JOHNSON: Da kann ich Ihnen leider nicht folgen, Sir.
AT-TALIB: Wirklich nicht, Mr President? Wie Sie selbst sagen, müssen Sie sich bald vor Gott verantworten, demnichts verborgen ist. Warum legen Sie dann nicht schon jetzt ein vollständiges Bekenntnis ab?
JOHNSON: Bekennen kann ich nur meine eigenen Sünden, Mr at-Talib, ebenso wie ich nur meine eigenen Fehler eingestehen kann. Ein Idiot bin ich jedenfalls nicht.
AT-TALIB: Ich unterstelle keineswegs, dass Sie einer sind, Mr President.
JOHNSON: Genau das tun Sie, wenn Sie mich bezichtigen, Ihr Land angegriffen zu haben. Warum sollte ich das tun?
AT-TALIB: Als Vergeltung für den Golfkrieg natürlich. Wir haben dafür gesorgt, dass Ihre Dominosteine nicht umfielen. Das hat Sie doch mit Sicherheit wütend gemacht!
JOHNSON: Hat es auch. Und wenn ich auf jemand wütend bin, nenne ich ihn einen Scheißkerl. Ich setze nicht sein Haus in Brand, und ich fange keine Fehde mit seiner ganzen Familie an. Ganz besonders dann nicht, wenn ich weiß, dass ich diese Fehde nicht gewinnen kann.
»Der Gefangene beharrt weiterhin darauf, er habe mit dem 9.11. nichts zu tun gehabt«, schrieb at-Talib an seine Vorgesetzten in Riad. »Als ich andeutete, die Bergchristen, die die Verantwortung für den Anschlag beanspruchten, seien zu rückständig, um ihn ohne fremde Hilfe verübt haben zu können, erwiderte LBJ, es sei noch nicht lange her, dass die ›Ärräbbs auf Kamelen durch die Gegend ritten‹, und dennoch würde nur ein sehr bornierter Mensch behaupten, sie seien nicht ›ebenso großer wie grausiger Taten‹ fähig. Darauf bat ich ihn zu
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