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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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spekulieren: Wenn es nicht die Menschen der Berge waren, wer könnte dann dafür verantwortlich sein? Er erinnerte mich daran, dass die Flugzeugentführer alle mit texanischen Pässen gereist waren, und merkte an, dass es die Führer der Evangelikalen Republik offensichtlich freute, ihn entmachtet zu sehen. ›Ich sage nicht, dass sie es waren, aber das wäre, wonach ich bei einemSchuldigen suchen würde: nach dem Willen, einen Krieg anzufangen, oder einen Dschie-hatt, wie Sie das nennen.‹
    Was die andere Angelegenheit betrifft, bedaure ich, keine größeren Fortschritte gemacht zu haben, wenngleich das Problem hier nicht in LBJs Leugnen besteht, sondern in der Unmöglichkeit, mit ihm ein kohärentes Gespräch zu führen. Wie Sie wissen, leidet Johnson an beginnender Demenz. Wenngleich im Allgemeinen klar, hat er Phasen, in denen er zu fantasieren beginnt und glaubt, sein Traum, ›Amerika zu einen‹, sei bereits Wirklichkeit geworden. Diese Episoden treten in der Regel zufällig auf, doch sie können auch gezielt ausgelöst werden, und der fragliche Gegenstand scheint einer der stärksten Auslöser überhaupt zu sein.«
    AL-TALIB: Es tut mir leid, Mr President, aber ich muss noch einmal das Thema MVW ansprechen.
    JOHNSON: MVW?
    AT-TALIB: [Seufzt.] Ja, Sir, Massenvernichtungswaffen. Atomar, biologisch und …
    JOHNSON: Atomar? Sie fragen mich, ob Amerika Kernwaffen besitzt?
    AT-TALIB: Ja.
    JOHNSON: Natürlich haben wir welche. Was glauben Sie eigentlich, was eine Supermacht ist , mein Sohn?
    AT-TALIB: Und wo sind diese Waffen, Mr President?
    JOHNSON: Drüben im Westen.
    AT-TALIB: Westlich der Hauptstadt?
    JOHNSON: Nein, westlich des Ostens. In Wyoming, Montana, den Dakotas …
    AT-TALIB: Montana? In den Rocky Mountains?
    JOHNSON: … und Missouri.
    AT-TALIB: Aber wie sollte das möglich sein, Mr President? Missouri ist doch Mormonengebiet, nicht?
    JOHNSON: Mormonen? Was zum Henker haben die verdammten Mormonen damit zu tun?
    Zu keinem Zeitpunkt während der Befragung noch in irgendeinem seiner Berichte nach Riad erweckte at-Talib den Eindruck, als hielte er es für möglich, dass Johnsons »Wahnvorstellungen« eine von anderen geteilte Mythologie widerspiegeln könnten, ebenso wenig fand sich darin eine explizite Erwähnung der Fata Morgana. Aber vielleicht als Reaktion auf die erwähnten »Auslöser« begann sich Johnsons Geisteszustand wieder zu verschlechtern, und als seine Aussagen zunehmend kryptischer und sibyllinischer wurden, tauchten immer wieder Lücken in der Abschrift auf.
    Die letzte Befragung fand nach einer fünftägigen Unterbrechung statt, während welcher Johnson fieberkrank war. Die Leute in Riad hatten inzwischen akzeptiert, dass sie kein Geständnis bekommen würden, und da sie befürchteten, LBJ könnte in ihrer Gefangenschaft sterben, entschieden sie, nach einem abschließenden Gespräch die Vernehmung zu beenden.
    AT-TALIB: Wie geht es Ihnen heute, Mr President?
    JOHNSON: [Nichts zu hören.]
    AT-TALIB: »Kaputt«? Sind Sie müde? Hier, trinken Sie einen Schluck Wasser.
    JOHNSON: Danke.
    AT-TALIB: Ich werde heute nicht lange bleiben.
    JOHNSON: Nein, es ist schon in Ordnung. Setzen Sie sich doch. Ich weiß, unsere Zeit wird langsam knapp. Besser gesagt, meine Zeit.
    AT-TALIB: Hat Ihnen jemand etwas gesagt, Mr President?
    JOHNSON: Der Allmächtige und ich haben uns beraten.
    AT-TALIB: Gott hat zu Ihnen gesprochen?
    JOHNSON: Gewissermaßen. Soll ich Ihnen einen Traum erzählen, den ich gehabt habe?
    AT-TALIB: Wenn Sie möchten.
    JOHNSON: Ich war wieder in Stonewall, in einer Einklassenschule.
    AT-TALIB: War das die Schule, die Sie als Junge besuchten?
    JOHNSON: Das Schulgebäude selbst war eine Kulisse, aus der LBJ Library in Washington. Aber im Traum war sie nach Stonewall versetzt worden, und da sie kein Dach hatte, konnte ich nach oben schauen und den Himmel sehen, unter dem ich geboren wurde.
    Ich saß allein in einer Schulbank. Es gab insgesamt zehn solche Bänke, angeordnet in drei Dreierreihen und der letzten Bank in der Mitte dessen, was die vierte Reihe gewesen wäre. Ich saß direkt vor dieser einen, auf Platz Nummer acht. Und an der Stirnwand des Zimmers war eine Tafel, an der zehn Ziffern geschrieben standen, von Eins bis Null … Ihr Englisch ist so gut, Mr at-Talib, da vermute ich, dass Sie auch wissen, wie wir Amerikaner unsere Zahlen schreiben?
    AT-TALIB: Es hat schon seinen Grund, dass Sie sie als »arabische Zahlen« bezeichnen, Mr President.
    JOHNSON: Ach ja, natürlich. Nun,

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