Mirage: Roman (German Edition)
alkoholischer Getränke, schlagartig in Luft auf. Die Vorstellung, es sei möglich, in einem noch lange nicht befriedeten Gebiet die Prohibition durchzusetzen, war gelinde gesagt hanebüchen; außerhalb der besetzten Hauptstadt hatte das Verbot keine nennenswerte Auswirkung auf die Trinkgewohnheiten der Amerikaner. Dafür hatte es andere Konsequenzen. Im plötzlich »trockenen« Washington entstand rasch ein blühender Schwarzmarkt, der arbeitslosen Minutemen eine neue Möglichkeit gab, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen – und einen neuen Grund, Territorialkämpfe auszutragen. Die Koalitionsarmee verwandelte sich derweil in ein Heer von nicht ausgebildeten Halal-Beamten. Soldaten, die eigentlich dabei hätten helfen sollen, die Stabilität wiederherzustellen, zogen stattdessen auf Vernichtungsfeldzug gegen Brauereien und Destillerien. Manchmal fanden sie welche. Manchmal vertaten sie sich und zerstörten stattdessen andere Ziele: Fabriken für medizinisches Bedarfsmaterial, Lebensmittellager, Schulen. Nachrichten über die schlimmsten Missgriffe breiteten sich im ganzen Land aus und verursachten weitere Unruhen.
In einer Krisensitzung versuchten einige von ad-Darirs Beratern, ihren Dienstherrn dazu zu bewegen, den Erlass zu widerrufen. Er weigerte sich. Und dann tat er die befremdlichste Äußerung seiner gesamten Laufbahn, indem er vorschlug, die Amerikaner sollten doch, wenn sie am Ende des Tages den Wunsch verspürten, sich zu entspannen, Haschisch rauchen; das Klima, insbesondere der südlichen Staaten, bemerkte ad-Darir, müsste eigentlich ausgezeichnet für den Anbau von Cannabis sein.
Vielleicht versuchte er, witzig zu sein. Vielleicht war er zu offenherzig bezüglich seiner eigenen Angewohnheiten. Man fand es nie mit Sicherheit heraus, und sobald ad-Darirs Feinde die Bemerkung an die Öffentlichkeit hatten durchsickern lassen, verweigerte er jede Stellungnahme. Moralisch war der Vorschlag natürlich unsinnig: Der Koran verurteilt alle Rauschmittel, nicht nur den Alkohol. Ein weit größeres Problem aber war, dass er, wieder einmal, die völlige Ignoranz des Administrators bezüglich amerikanischer Rassenempfindlichkeiten bewiesen hatte.
Wie Kokain und Opium, war Cannabis in den CSA schon lange verboten gewesen – aber nicht aus religiösen Gründen, sondern aufgrund der Überzeugung, dessen Genuss stachle die Geschlechtslust schwarzer Männer an. In vielen weißen Gemeinden wurde ad-Darirs Bemerkung, »sollen sie doch Hasch rauchen«, als eine Aufforderung zur Massenvergewaltigung interpretiert. Das kam nicht gut an.
Gerade mal eine Woche später knüpfte ein weißer Mob in Langley die Leichen vier arabischer ziviler Dienstleister der Besatzungsarmee an einer Highwaybrücke auf. Für Bulosad-Darirs Vorgesetzte war dies der letzte Tropfen; während die Marineinfanterie in Fairfax County einmarschierte, wurde der Administrator nach Riad zurückgerufen und sein anstehender Erlass Nr. 9, der Schweinefleischprodukte für illegal erklärt hätte, still und leise zu den Akten gelegt. Doch das Kind war schon in den Brunnen gefallen, und wenigstens in einem Punkt waren sich weiße und schwarze Amerikaner jetzt völlig einig: Die Koalitionsverwaltung sollte je eher, je lieber ihre Koffer packen.
Mustafa stand auf, um sich die Beine zu vertreten. Er sah, dass Amal über etwas aus ihrem eigenen Lektürepaket lachte, und fragte: »Was ist das?«
»Unsere Steuergelder in Aktion«, sagte Amal. Sie zeigte ihm eine Broschüre: ›Dreizehn einfache Regeln für den Umgang mit Amerikanern – für Erstbesucher mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne.‹
Regel Nr. 1 war: ERWARTEN SIE KEINEN DANK. »Die Amerikaner sind ein stolzes Volk. Obwohl ihre Kultur noch in den Kinderschuhen steckt, glauben sie, älteren und gefestigteren Kulturen ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen zu sein. Die Tatsache, dass Fremde nötig waren, um sie zu befreien, empfinden sie als große Schmach, und wenngleich die überwältigende Mehrheit von ihnen für das Geschenk der Freiheit dankbar ist, sind sie äußerst unwillig, das auch zu zeigen.
Vielleicht werden Sie das Gefühl haben, dass Amerikaner sich zu sehr beklagen. Versuchen Sie, das zu ignorieren. Der Hinweis darauf, in wie vielerlei Hinsicht sich ihr Leben verbessert hat, wird lediglich weitere Klagen hervorrufen. Sagen Sie niemals einem Amerikaner, dass er ›dankbar sein sollte‹. In der amerikanischen Kultur gilt dies als eine schwere Beleidigung und könnte zu Gewalttätigkeiten
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