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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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in den Himmel reckte, tat es ihr die Menschenmenge hinter ihr nach, und es ertönte der Ruf: »Gott ist groß!« Dieser Augenblick, der mit der Kamera eingefangen und überall im Land veröffentlicht wurde, ging als » der Moment« in die Geschichte ein: Der Moment, in dem wir aufstanden. Der Moment, in dem wir anfingen, uns zu wehren. Der Moment, in dem wir sagten: Wir werden uns niemals kleinkriegen lassen. Und ebenso der Moment, in dem Anmar al-Maysani von einer Bürgermeisterin ohne Aussicht auf Wiederwahl zu einer Politikerin von nationalem Ansehen wurde.
    Amal hatte das Foto natürlich schon zahllose Male gesehen. Die Leute konnten es nicht lassen, es ihr zu zeigen und, oft unter Tränen, zu schildern, was es für sie bedeutete. Solche Gefühlsergüsse waren mitunter etwas schwer zu ertragen, und während Amal sich alle Mühe gab, höflich zu bleiben, war sie bei neuen Bekanntschaften doch immer etwas auf der Hut, da sie nie wusste, wann sie von ihnen wieder einmal mit » dem Moment« konfrontiert werden würde.
    Heute wurde ihr das erspart. Beim Tee konzentrierte sich das Gespräch auf ihren Heldenmut, und als Abu Mustafa sich nach ihrer Familie erkundigte, zeigte er mehr Interesse an ihrem Vater als an ihrer berühmten Mutter. Amals Vater war Funktionär bei der Polizeigewerkschaft gewesen und in Ausübung seiner Pflichten ermordet worden, also war das Thema für sie durchaus schmerzlich, aber Amal war jedem dankbar, der sich daran erinnerte, dass auch ihr Papa einst ein Held gewesen war.
    »Er wäre bestimmt sehr stolz auf Sie«, sagte Abu Mustafa.
    »Das würde ich gerne glauben«, sagte Amal. »Haben Sie ihn je persönlich getroffen, Abu Mustafa?«
    »Ein Mal«, sagte Abu Mustafa. »Auf einer Baath-Veranstaltung, einer Spendensammlung, die auf dem Universitätsgelände abgehalten wurde. Ein gelungener Abend war das nicht – es waren leider ein paar recht unangenehme Gestalten dabei –, aber Ihr Vater beeindruckte mich. Ein guter und anständiger Mann … Wir können uns glücklich schätzen, dass Sie in seine Fußstapfen treten.«
    Amal errötete.
    »Nun«, sagte Abu Mustafa. »Ich möchte Ihnen noch einmal dafür danken, dass Sie meinem Sohn das Leben gerettet haben. Sie wissen hoffentlich, dass Sie in meinem Haus jederzeit willkommen sind.«
    »Du gehst aus?«, sagte Mustafa, als sein Vater aufstand.
    »Nur die Treppe runter, zu deinem Onkel Tamir. Sei unbesorgt.«
    »Bin ich auch«, log Mustafa.
    Mit einem Lächeln und einem Nicken in Amals Richtung wandte sich Abu Mustafa ab und ging. Nachdem die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss gefallen war, blieb Mustafa für einen Moment stumm sitzen. Amal ebenso, in Gedanken an ihren Vater versunken. Samir schenkte Tee nach.
    »Also schön«, sagte Mustafa. »Dann lasst mal hören, wie die Sache steht.«
    »Die Durchsuchung von James Travis’ Hotelzimmer«, begann Amal, »hat nichts Relevantes ergeben, abgesehen von dem Werkzeug, das er verwendet hat, um den Sprengstoffgürtel zusammenzubasteln. Die Jungs von der Kampfmittelbeseitigung meinten, es wäre eine ganz ordentliche Arbeit gewesen. Irgendjemand hatte ihn gut ausgebildet.«
    »Das Ding wäre also mit Sicherheit losgegangen?«
    »Oh ja.«
    »Haben wir eine Ahnung, was sein Ziel war?«
    »Die Einkaufspassage an der Abu-Nuwas-Straße«, sagte Samir. »Travis hatte einen Stadtplan vom Flussufer-Distrikt. Der Einkaufskomplex war eingekreist.«
    »Und was sagt Riad? Haben die Leute neue Infos für uns? Vorzugsweise welche, die mehr mit den Tatsachen übereinstimmen?«
    »Sie sind dabei, ›ihre Quellen im Lichte der jüngsten Ereignisse neu zu bewerten‹«, sagte Amal. »Die gute Nachricht ist, dass wir in Kufa einen Durchbruch geschafft haben könnten …« Die letzten paar Wochen hatte Travis in einer Gastarbeiterunterkunft unweit der Militärbasis Kufa gewohnt. »Mein früherer Partner im ›Büro‹ hatte wegen einer anderen Sache dort unten ermittelt, also habe ich ihn gebeten, bei der gestrigen ABE-Razzia im Wohnheim dabei sein zu dürfen. Das Zimmer war sauber – Travis hatte alles rausgeworfen, was er nicht mitgenommen hatte –, und laut dem Geschäftsführer war die Müllabfuhr schon gestern früh vorbeigekommen. Also sah es zunächst nach einer Sackgasse aus …«
    »Was haben sie gemacht, die Mülldeponie durchsucht?«
    »Es war tatsächlich davon die Rede, das zu tun. Aber dann ist Rafi argwöhnisch geworden und hat kurz mal telefoniert.«
    »Wie sich herausstellte, hatte der

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