Mirage: Roman (German Edition)
Richter reichte das Blatt dem Gerichtsdiener, der es zur Geschworenenbank zurücktrug. »Der Angeklagte möge sich erheben.« Selbstsicher lächelnd folgte der Angeklagte der Aufforderung. »Bitte verlesen Sie die Entscheidung für das Protokoll.«
»J-ja, Euer Ehren … In den Anklagepunkten der Verschwörung zum Mord, der Verschwörung zum Transport und Vertrieb verbotener Substanzen, der Verschwörung zur Förderung und finanziellen Ausbeutung unsittlicher Handlungen, des Zinswuchers, der Bestechung eines Regierungsbeamten, der Bestechung eines Polizeibeamten und der Verschwörung zur Anstiftung zum Meineid befinden wir den Angeklagten, Saddam Hussein, für nicht schuldig.«
Die Straße vor dem Gerichtsgebäude war für den normalen Verkehr gesperrt worden, und die Polizei hatte Gitter entlang des gegenüberliegenden Bürgersteigs aufgestellt, um Fußgänger auf Abstand zu halten. Eine Limousine stand mit laufendem Motor am Fuß der Außentreppe des Gerichtsgebäudes, bereit, den Mann der Stunde zu seiner Siegesfeier zu bringen.
Doch Saddam hatte es nicht eilig zu verschwinden. Als er – flankiert von seinen Söhnen, seinen Anwälten und seinem Kumpel Tariq Aziz – aus dem Gerichtsgebäude herauskam, reckte er die Arme in die Höhe und rief der Menge hinter der Absperrung zu: »Hal- lo , Bagdad!« Es ertönte ein Hurra. Saddams glühendste Anhänger – Baath-Funktionäre erhielten Bonuszahlungen für ihre Anwesenheit – hieltenSchilder in die Höhe, auf denen sein Foto prangte und der Slogan »Lang lebe der König!« zu lesen war. Die Menge fing an, »Sad-dam! Sad-dam! Sad-dam!« zu skandieren.
Saddam hielt den rechten Arm hoch und ließ die Hand mit fürstlicher Huld kreisen. Sein Blick wurde unscharf, während er sich in den Huldigungen seines Volkes suhlte. Nach einer guten Minute berührte ihn Tariq Aziz sanft an der Schulter, als weckte er einen Schlafwandler auf, und führte ihn die Treppe hinunter auf eine Schar wartender Berichterstatter und Fernsehkameras zu.
Während sein Vater vor der Presse Hof hielt, behielt Qusai Hussein die Menge im Auge. Sein älterer Bruder hätte eigentlich das Gleiche tun sollen, aber Udais Aufmerksamkeit richtete sich stattdessen auf eine junge Journalistin, die von ihren Kollegen nach hinten gedrängt worden war.
Auf der anderen Straßenseite entstand ein Tumult, als jemand ein neues Schild hochhielt, eine handgemalte Karikatur Saddams mit blutbefleckten Händen, unter der nur das eine Wort »SCHLÄCHTER!« stand. Die ihm am nächsten stehenden Baath-Mitglieder reagierten wütend und setzten ihre eigenen Schilder als Keulen ein. Als die Polizei eilig hinzukam, um eine Massenschlägerei zu verhindern, blieb ein Teil der Absperrung unbewacht.
Zwei Männer schlüpften durch die Lücke. Sie überquerten unbeobachtet die Straße und zogen, während sie sich dem Bürgersteig näherten, kurzläufige Revolver aus dem Hosenbund. Qusai bemerkte sie gerade, als sie zielten; er stieß einen Warnruf aus und warf seinen Vater zu Boden.
Als die Männer das Feuer eröffneten, spritzten die Presseleute auseinander. Udai, in dessen Gesicht eher Freude als Schrecken zu lesen war, drehte sich in Richtung der Schüsse. Er zog seine Waffe und schoss dem am nächsten stehenden Attentäter zweimal in die Brust. Der zweite Schütze geriet in Panik und versuchte, wieder in der Menge unterzutauchen. Ohne sich darum zu kümmern, dass sich andere Menschen in seiner Schusslinie befanden, drückte Udai noch mehrmals ab und landete schließlich einen Treffer. Der Killer stolperte und fiel auf die Knie; bevor er wieder aufstehen konnte, warfen sich die Polizisten auf ihn.
Qusai half seinem Vater wieder auf die Beine. Saddam suchte sich sorgfältig nach Schussverletzungen ab; als er keine fand, sah er sich nach seinem Gefolge um.
»Tariq?«
»Alles in Ordnung«, sagte Tariq Aziz, obwohl er in Wirklichkeit ziemlich mitgenommen aussah. Er starrte auf Saddams Chefverteidiger, der auf dem Boden lag und aus einem Loch im Adamsapfel eine Blutfontäne von sich gab. Einer der anderen Anwälte beugte sich mit einem zusammengeknüllten Taschentuch hinunter und sagte: »Fest draufdrücken, fest draufdrücken!« Aziz wandte sich ab und übergab sich, und Saddam griff sich an die Kehle, von einer plötzlichen Kälte überschauert.
»Gott ist groß«, flüsterte er. Er sagte es noch einmal, lauter: »Gott ist groß!«
Udai schlenderte währenddessen hinüber zu den Polizeibeamten, die auf dem zweiten
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