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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Samir in Costellos Wohnung gefunden hatten. »Viele der überzeugtesten Verfechter dieser Legende sind im Besitz von Objekten wie diesem hier, bei denen es sich, wie sie behaupten, um Artefakte aus der ›realen‹ Welt handeln soll. Offensichtliche Fälschungen natürlich, aber wir müssen herausfinden, wer sie herstellt.«
    »Besitzt der Heimatschutz mehr von solchen ›Artefakten‹?«, fragte Mustafa.
    »Ja. Tatsächlich hat Abu Yusuf uns aus tiefer, fortdauernder Kooperationsbereitschaft heraus gerade eine Anzahl von Gegenständen ausgehändigt, die er heute im ABE-Büro in Kufa erhalten hat. Sie befinden sich gerade den Gang runter, in Konferenzraum B.«
    Einer von Idris’ Schlägern – derselbe, der Amal in der Wohnung überwältigt hatte – hielt vor der Tür des Konferenzraums Wache. Als er sie kommen sah, machte er Anstalten, ihnen den Weg zu versperren, aber Idris scheuchte ihn mit einer Handbewegung beiseite.
    Auf dem Konferenztisch waren vier Gegenstände angeordnet.
    Der Erste war eine kleine Flagge. Die rot-weißen Streifen waren allen vertraut, aber in der oberen linken Ecke waren das goldene Kreuz und den Wahlspruch IESUS NAZARENUS REX IUDAEORUM durch ein blaues Feld mit schlichten Reihen von weißen Sternen ersetzt worden.
    Als Nächstes kamen zwei Landkarten, die eine vom Irak, die andere vom gesamten Nahen Osten. Mustafa musterte Letztere und fühlte sich dabei wie ein Kind, das über einem dieser Rätsel brütet, bei denen es darum geht, alle Fehler in einem Bild zu finden: Der Bundesstaat Arabien war, zumindest streng genommen, falsch benannt. Aus Persien war Iran geworden, das »Land der Arier«, und Kurdistan war spurlos verschwunden, aufgelöst zwischen dem Bundesstaat Irak, dem »Iran« und einer offenbar souveränen Türkei. Am allermerkwürdigsten – und unmöglich zu ignorieren, sobald er es bemerkt hatte: Palästina war ebenfalls verschwunden, verdrängt von einer wahr gewordenen christlich-fundamentalistischen Prophezeiung. »Allmählich wird mir klar, warum der Präsident besorgt ist«, sagte Mustafa.
    Das vierte und letzte Objekt war die obere Hälfte der Titelseite einer weiteren Zeitung, der Pariser ›Le Monde‹ vom 13. September 2001. Die Überschrift lautete: » L’Amérique frappée, le monde saisi d’effroi « – »Amerika angegriffen, die Welt von Angst gepackt.« Eine Spalte am rechten Rand trug eine kleinere Schlagzeile: » Nous sommes tous Américains. «
    Er musste ein Geräusch von sich gegeben haben. Amal schaute auf und fragte: »Was ist?«
    Mustafa antwortete nicht, schüttelte nur den Kopf, von einem momentanen Schwindelanfall gepackt.
    Nous sommes tous Américains .
    Wir sind alle Amerikaner.



W ährend der Nacht war ein Sandsturm durch Bagdad gefegt und hatte auf den Straßen und Dächern eine dicke Schicht Grieß hinterlassen. Als die ersten Beamten das Gebäude des Staatsgerichts betraten, stellten sie fest, dass die Filter der Belüftungsanlage verstopft waren. Im Hinblick auf den Prominentenprozess, dessen Abschluss für den Tag anberaumt war, schickten sie einen Notruf an die Wartungsfirma; um neun Uhr waren alle Filter ausgetauscht worden, und die Klimaanlage funktionierte wieder ordnungsgemäß.
    Dennoch gab es, als der Richter kurz vor zwölf die Sitzung mit einem Hammerschlag fortsetzte, zwölf Männer im Raum, deren Gesichter vor Schweiß glänzten.
    »Meine Herren Geschworenen«, sagte der Richter. »Sind Sie zu einem Urteil gelangt?«
    »Durch die Gnade Gottes, Euer Ehren, das sind wir.«
    »Sind Sie vollkommen sicher?« Der Richter gab sich keine Mühe, seine Empörung zu verbergen. »Es ist gerade eine fünfwöchige Beweisaufnahme abgeschlossen worden, dennoch haben Sie sich nicht einmal eine Stunde lang beraten. Möchten Sie nicht wenigstens bis nach dem Mittagessen warten?«
    Der Chefverteidiger stand auf, um Einspruch zu erheben: »Euer Ehren …«
    » Sie halten die Klappe!« Dann funkelte er den Sprecher der Geschworenen an. »Also?«
    »Wir … wir sind uns sehr sicher, Euer Ehren.«
    Der Richter gab dem Gerichtsdiener ein Zeichen, worauf dieser an die Geschworenenbank trat, um den gefalteten Zettel mit dem Urteilsspruch aus der zitternden Handdes Sprechers entgegenzunehmen. Der Richter las, was auf dem Blatt stand.
    »Ist das Ihre einstimmige Entscheidung?«
    »So ist es, Euer Ehren.«
    »Und«, der Richter stieß einen Seufzer aus, »Sie sind frei und unbeeinflusst zu dieser Entscheidung gelangt?«
    »So ist es, Euer Ehren.«
    Der

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