Mirage: Roman (German Edition)
abgewinnen. Mittlerweile kämpfte er gegen seine eigene »Körperfresser-Invasion« – physische und emotionale Impulse, die ihm schon lange bewusst gewesen waren, die er aber jetzt nicht länger verleugnen konnte. Das Thema des Films ging ihm zu nah, und das hoffnungslose Ende machte ihm nicht weniger zu schaffen als den Geistlichen.
Die alte Schwarz-Weiß-Fassung liebte er allerdings nach wie vor.
Abdallah kam in den Pausenraum auf der Suche nach Kaffee, gerade als Omar Sharif seinen entscheidenden Angriff auf die Lagerhausfestung der Eindringlinge vorbereitete.
»Schwer am Arbeiten, wie ich sehe.«
Samir hielt sein Mobiltelefon in die Höhe. »Ich warte auf einen Anruf von einem Informanten.«
»Aha.« Auf dem Bildschirm war Sharif gerade mit der Verkabelung des Sprengstoffs auf der Pritsche seines Lasters fertig geworden und hatte sich ans Lenkrad gesetzt. »O-ho«, sagte Abdallah. »So viel zum Thema Filme, die heutzutage ganz anders wirken.«
»Ach was, Sharif ist einer von den Guten«, sagte Samir. »Und er ist kein Selbstmordattentäter.«
»Bist du dir sicher? Ich dachte, er opfert sich, um die Außerirdischen zu töten.«
»Nein, er springt in letzter Sekunde aus dem Laster. Hier, gleich kommt’s …«
Der Laster krachte durch eine Sperre und beschleunigte dann den Pier entlang auf das Lagerhaus zu. Dann kam ein Schnitt, und sie sahen eine Totale vom Lagerhaus, das in die Luft flog.
»Moment mal!«, sagte Samir.
Abdallah lachte. »Fürs Fernsehen zurechtgeschnitten.«
»Nein, das ist nicht richtig! Das muss eine beschädigte Kopie sein oder sonst was. Wart’s nur ab – er ist im Wasser, und er steigt aus der Brandung, und Faten Hamama wartet schon auf ihn …«
Nichts davon kam. Die Zerstörung des Lagerhauses zog sich immer länger hin, dieselben Explosionen in einer Endlosschleife aneinandergeschnitten, während im Hintergrund martialische Musik tönte, und dann erschien das Wort ENDE.
»Das ist nicht richtig«, sagte Samir. »Omar Sharif überlebt. Er kriegt das Mädchen!«
»Tja, nun.« Abdallah zuckte die Achseln. »Ist nur ein Film, Mann.«
»Aber er endet nicht so!«
Sein Handy klingelte.
Abdallah, der es nicht eilig hatte, sich wieder an die Arbeit zu machen, die ihn noch nach Einbruch der Dunkelheit dort festhielt, folgte Samir zu den Fahrstühlen. »Dann triffst du dich also mit dem Typen?«
»Welchem Typen?«, fragte Samir.
»Deinem Informanten.«
»Ah. Nein. Wie sich rausgestellt hat, war es reine Zeitvergeudung. Er rief nur an, um zu sagen, dass er nicht gefunden hat, was ich brauchte.«
»Na, wenn du dann nichts vorhast, wie wär’s mit einem Happen zu essen? Oder vielleicht«, Abdallah machte ein hoffnungsvolles Gesicht, »in ein Tanzlokal gehen? Ich sollte eigentlich eine angezapfte Leitung überwachen. Aber jetzt, wo Faruk nach Hause gegangen ist, dachte ich, ich könnte die Geräte für ein paar Stunden auf Automatik stellen.«
»Würde ich liebend gern tun, das weißt du«, sagte Samir. »Aber ich fühle mich, ehrlich gesagt, nicht sonderlich gut. Ich gehe nach Hause und schlafe mich zur Abwechslung einmal richtig aus.«
Bei Samirs »Informanten« handelte es sich tatsächlich um Isaak, seinen früheren Kollegen bei der Halal-Behörde. Isaak war noch immer bei der Halal; zurzeit leitete er eine Soko, die das Sittendezernat der Bagdader Polizei unter die Lupe nahm. Durch die Beaufsichtigung der Aktivitäten der Sitte und seine Kenntnis der Operationen der Halal war Isaak imstande, mit fast hundertprozentiger Genauigkeit vorherzusagen, welches von Bagdads Ratten-Souterrains, Bordellen und sonstigen illegalen Etablissements in der jeweils folgenden Nacht hochgenommen werden würde. Ein paar Stunden zuvor hatte Samir seinem alten Freund einenE-Post-Witz weitergeleitet – ihr vereinbartes Signal, dass er vorhatte auszugehen. Sobald Isaak den Razzienplan der Sitte für die kommende Nacht hatte, ging er zu einem Münztelefon und sagte, ohne seinen Namen zu nennen, eine Liste von Stadtvierteln auf, die es zu meiden galt. Isaak fragte nicht, und Samir erzählte nicht, welcher Art von verbotenen Vergnügungen er zu frönen gedachte. Aber Samir war sich ziemlich sicher, dass Abdallah keinen Geschmack daran gefunden hätte.
Er fuhr zu seinem Appartement im al-Kazimiya-Distrikt, wo er seit seiner Scheidung lebte. Er duschte und zog frische Sachen an, dann nahm er alles, was ihn identifizieren konnte, aus seiner Brieftasche, verweilte einen Augenblick bei einem
Weitere Kostenlose Bücher