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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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dir im Blut haben. Seit er sprechen kann, redet er davon, dass er etwas Aufregendes im Leben machen will, etwas Gefährliches. Als Junge redete er ständig davon, er würde Testpilot, Tiefseetaucher oder Kriminalpolizist werden. Dann, nach dem 9. November, kam er mit einem neuen Berufsziel an: Soldat. An seinem dreizehnten Geburtstag erklärte er Nasrin und mir, er würde nach Amerika gehen, um für sein Land zu kämpfen und den Christen die Demokratie und den Islam zu bringen. Wir versuchten, ihm das auszureden. Wir sagten ihm,wenn er die Welt wirklich zu einem sichereren Ort machen wollte, sollte er Diplomat werden, wie sein Großvater.« Er lächelte wehmütig. »Ein hoffnungsloses Argument … Nasrin und ich trösteten uns mit dem Gedanken, dass der Krieg längst vorbei sein würde, wenn Salim alt genug wäre, um zum Militär zu gehen, und dass er wahrscheinlich aus der Idee herauswachsen würde. Und das schien auch tatsächlich so zu sein – zumindest hörte er auf, davon zu reden.
    Dann ist er letztes Jahr achtzehn geworden und ist auf die Universität gegangen. Es machte mich wahnsinnig stolz, dass er sich für die Uni-Lib entschieden hatte – ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass er nur deswegen nach Beirut wollte, weil dort das Ausbildungszentrum der Marineinfanterie ist. Der Freund, der angeblich Salims Mitbewohner war, spielte mit, nahm Anrufe entgegen und leitete seine E-Post weiter, damit wir nicht merkten, dass er im Ausbildungslager war. Nasrin schöpfte Verdacht, als er in den Winterferien heimkam – er hatte abgenommen und sein Haar war sehr kurz –, aber er erzählte uns, er sei jetzt in der Ringermannschaft. Dann, im Mai, als er seine Grundausbildung abgeschlossen hatte und kurz davorstand, in den Einsatz geschickt zu werden, bekamen wir von ihm diesen Brief …« Er zog zwei zerknitterte Blätter aus seiner Anzugjacke. »Du solltest ihn lesen«, sagte er und legte den Brief auf den Tisch, doch Amal machte keine Anstalten, ihn aufzuheben. »Salim entschuldigt sich dafür, dass er mich getäuscht hat und nicht der Mensch ist, den ich mir gewünscht hatte.« Anwar sah sie an. »Seine Wortwahl ist … mir sehr vertraut.«
    Amal schloss die Augen. »Anwar«, sagte sie, »es tut mir leid, wenn mein Blut deinen Sohn dazu gebracht hat, gegen deine Wünsche zu handeln. Aber ich sehe nicht …«
    »Salim ist jetzt in Washington. In der Grünen Zone stationiert. Es heißt, dort sei es relativ sicher, aber wirklich sicher ist es in Amerika nirgendwo. Nicht für einen muslimischen Jungen, der auf Heldentaten aus ist.«
    »Was willst du dann von mir, Anwar? Was glaubst du, dass ich tun kann?«
    »Salim wieder nach Arabien verlegen lassen, natürlich.«
    »Wie?«
    »Deine Mutter ist Senatorin.«
    »Meine Mutter!« Amal lachte. »Hast du eine Ahnung, was meine Mutter sagt, wenn ich ihr erzähle, dass du hergekommen bist, um mich zu sprechen?«
    »Du brauchst von mir doch gar nichts zu sagen. Bitte sie darum als einen persönlichen Gefallen. Es ist doch eine Kleinigkeit.«
    »Warum bittest du dann nicht deinen Vater darum? Ein ehemaliger Diplomat hat doch bestimmt Freunde, die ihm solche Gefälligkeiten erweisen können.«
    »Ich habe ihn darum gebeten«, sagte Anwar. »Und er versucht es, aber seine Freunde haben seinerzeit alle die Invasion befürwortet, und diejenigen, die noch immer Einfluss haben, befürchten, sie könnten jetzt als Heuchler dastehen …«
    »Vielleicht haben sie damit gar nicht so unrecht«, sagte Amal.
    Anwars Gesicht rötete sich. »Wie kannst du nur so egoistisch sein?«
    »Egoistisch? Red du mir nicht von Egoismus!«
    »Ich weiß, was du von mir denkst, Amal«, sagte Anwar. »Du glaubst, ich hätte deshalb darauf bestanden, dass du Salim austrägst, weil ich dachte, du würdest dann bei mir bleiben. Schön, du hast recht: Damals habe ich das gedacht. Aber es war nicht der einzige Grund. Ich war damals davon überzeugt, wie ich jetzt weiß, dass eine menschliche Seele es verdiente, um ihrer selbst willen geboren zu werden …«
    »Sagt sich leicht als Mann.«
    »Sagt sich leicht als Vater«, konterte Anwar. »Salim ist ein guter Junge, Amal. Ich habe versucht, ihm ein guter Vater zu sein. Du hast ja keine Ahnung, ich habe Opfer für ihn gebracht … Und ich würde alles noch einmal tun, und mehr, wenn ich könnte …
    Ich verlange von dir nicht, dass du genauso empfindest«, fuhr er fort. »Betrachte Salim ruhig als den Fremden, der er für dich ist. Aber auch das Leben eines

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