Miranda
umarmte sie Junebug fest.
Junebug, sonst so stark und energiegeladen, fühlte sich fast zerbrechlich an - als ob alle Kraft aus ihr gewichen wäre. Sie klammerte sich an Miranda und riss sich dann mit einem kurzen Schluchzer los. »Seht mich an am Tag des Herrn!«, rief sie aus und lachte bitter. »Da benehme ich mich, als wenn ich keinen Funken Glauben in mir hätte.«
Rachel, die nach der Geburt ihres Babys recht füllig geb li eben war, spähte in den Korb, in dem der kleine Henry wie ein Engel schlief. »Wo ist Jacob?«, erkundigte sie sich so bemüht gleichgültig, dass Miranda merkte, wie sehr ihr an der Antwort lag.
»Er ist mit Toby zu den Quellen hinuntergegangen«, erwiderte Junebug, und ein abwesender Ausdruck trat in ihre Augen. Es schmerzte Miranda, die Frau, die so gut zu ihr gewesen war, jetzt so unglücklich zu sehen. Die McCaffreys hatten schon genug gelitten, als sie beide Söhne im Krieg verloren hatten. »Toby hat davon gesprochen, dass er weglaufen will - nach Mexiko oder so. Aber das ist natür li ch U nsinn. Jacob will ihn zur Vernunft rufen und ihn davon überzeugen, dass er notfalls zu seinem Vater gehen muss, aber der Junge ist ein Dickkopf.«
Toby war ein Dickkopf, aber er war auch ein guter Junge und würde dank der McCaffreys eines Tages ein guter Mann sein. Vorausgesetzt, Mike Houghton machte ihn nicht zu einem Bankräuber oder Säufer. Jeder wusste, dass Houghton sich in schlechter Gesellschaft wohl fühlte.
»Er wird es schon schaffen«, sagte Rachel ermutigend, aber ihre Augen blickten sorgenvoll. Auch sie mochte Toby sehr, denn sie hatte ihn damals im Wald gefunden und nach Springwater gebracht, wo sie ihn auch unterrichtet hatte, bis Henry geboren wurde. »Er ist einer von uns und gehört hierher.«
Die Frauen sahen einander an, als müssten sie bekräftigen, was Rachel gerade gesagt hatte. Alle, bis auf Savannah, die voller Sehnsucht den kleinen Jesaiah betrachtete.
5
Als Miranda sa h , wie Jacob mit einem rebellisch aussehenden Toby im Schlepptau die Postkutschenstation betrat, brach ihr fast das Herz. Jacob sah so dünn und schwach aus, als ob er sich nicht mehr lange auf den Beinen halten könnte. Seine dunklen, freundlichen Augen blickten ernst und schienen tief in den Höhlen zu Hegen. Nur an seinen zusammengepressten Lippen war zu erkennen, dass sein Kampfgeist ihn noch nicht ganz verlassen hatte. Miranda war zumindest darüber erleichtert.
»Hallo, Toby«, begrüßte Miranda den Jungen und legte ihm die Hand auf die dünne Schulter. In ihrer Zeit auf der Postkutschenstation hatte sie Toby gut kennen gelernt und schätzte seinen Respekt und seine Fürsorge für die McCaffreys. Eines Tages würde er sicher ein großer Mann sein, doch mit seinen zwölf Jahren war er noch so dünn und unreif wie ein frisch gepflanztes Bäumchen.
Seine blauen Augen sahen Miranda voller Wut und Trauer an, und in dem Moment hätte sie ihn am liebsten umarmt und an sich gedrückt, bis Mike Houghton wieder ging. Doch das machte natürlich keinen S inn, selbst wenn Toby stillgehalten hätte. »Ich möchte nicht gehen«, sagte er.
Miranda presste die Lippen zusammen und sah Jacob an. Sein Gesicht war genauso traurig wie Tobys Augen. Miranda fürchtete wieder, dass diese Belastung zu viel für den alten Mann sein könnte.
»Wo ist Mr. Houghton jetzt?«, fragte sie, die Hand noch immer auf Tobys Schulter. Normalerweise wünschte er keine Zärtlichkeit en , aber in diesem Augenblick schien ihm ihre Berührung gut zu tun.
Jacobs Stimme war gedämpft, aber Miranda spürte, wie viel Mühe es ihn kostete, nicht laut loszudonne rn . »Er hat sein Lager vor der Stadt aufgeschlagen und gesagt, dass er zur Predigt kommen will.«
Mirandas Nackenhaare sträubten sich vor Wut; es gab ein oder zwei Dinge, die sie Tobys Vater gerne ins Gesicht gesagt hätte, aber sie wusste, dass sie damit nur ihren Atem verschwendet hätte. Manche Menschen waren so verdorben, dass keine Worte oder Argumente sie von ihrem Weg abbringen konnten. Ihr Vater war genauso gewesen und hatte sie nach dem Tod seiner Frau nur bei sich behalten, um jemanden zum Kochen und Wäschen zu haben. Die traurige Wahrheit war, dass Houghton seinen Sohn Toby irgendwann satt haben und ihn einfach rauswerfen würde, wie ihr Pa sie rausgeworfen hatte; und das würde er weit von Springwater und den McCaffreys entfernt tun.
Miranda fuhr dem Jungen durchs Haar und spürte, wie er zitterte.
Jetzt trafen viele Leute ein, und rasch füllten sich
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