Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
Leute, die sie mit dem Drachen sprechen hörten, sich doch denken, was sie wollten! Sie galt bei einigen Dorfbewohnern ohnehin bestenfalls als „schrullig“, hatte leider auch schon andere Adjektive einstecken müssen. Aber selbst diese Leute kamen teilweise zu ihr, wenn eine innere Not oder Angst sie zu überwältigen drohte. Meistens kamen sie unter einem Vorwand, ließen sich eine Teemischung oder eine Salbe geben gegen kleines Entgelt, aber dann, nach einigem Zögern, suchten sie ein Gespräch und wollten einfach ein wenig bei ihr sitzen und bleiben, bis es ihnen besser ging. Sie hatte diese Wirkung auf andere, seit langer Zeit schon. Es war nicht jedes Mal notwendig, die Hände aufzulegen. Manchmal genügte allein ihre Gegenwart, und somit die Gegenwart ihrer Engel und die Seelenruhe, die von ihnen allen ausging.
Was sollte sie nur tun? Allein der Gedanke, dieses Haus zu verlassen, weil sie die Miete nicht mehr zahlen konnte, war extrem deprimierend. Bei diesem Gedanken verspürte sie tatsächlich ein leises Ziehen in der Herzgegend. Nach einer Weile stand sie unter Ächzen von der Bank auf, nahm den Korb und ging zur Hintertür. Sie hätte schwören können, dass Thaddäus ihr eben aufmunternd zugezwinkert hatte.
Ich erwachte am Freitagmorgen und fühlte mich wesentlich wohler, erinnerte mich sogar an das, was ich geträumt hatte. Im Traum war ich mit einem Krokodil in einem Eiscafé gewesen. Ein rosa-blau gestreiftes Monster erschien auf der Bildfläche und nahm mir das köstliche Eis weg, woraufhin das Krokodil sich in meiner Handtasche einkuschelte und mit zu mir nach Hause wollte. Die Tasche fühlte sich im Traum richtig schwer an.
An meine Träume konnte ich mich nur selten erinnern und dieser fing auch schon an zu verblassen, als ich mir einen Möchtegern-Latte-Macchiato aufbrühte. Echt kein Vergleich zu Frau Mertens Kaffee, dachte ich beim Trinken. Nachdem ich mir anschließend meine Haare gewaschen und geföhnt hatte, machte ich mich an die Arbeit, denn die Reportage musste bis heute 17 Uhr in der Redaktion als Datei vorliegen. Linda würde mir vermutlich höchstpersönlich aufs Dach steigen, wenn ich die Frist nicht einhalten würde. Ich arbeitete konzentriert am Notebook, interviewte per Telefon noch die letzte Kandidatin (sie war so eine Art Spezialistin für Heilnahrung) und war letztlich um 16.45 Uhr mit der Arbeit fertig. Ich sandte die Datei in die Redaktion, klappte den Deckel des Notebooks zu und merkte dann, wie hungrig ich war.
Im Kühlschrank war noch ein Rest Spaghetti, säuberlich unter Frischhaltefolie aufbewahrt. Die konnte ich noch essen. Was war denn noch da, überlegte ich. Hm, Ingwer, eine etwas angegammelte Banane, oh ja – die Ananas war ja auch noch da! Irgendwo mussten doch noch frische Erdnüsse sein? Ich liebte Nüsse im Essen! Ich schmolz etwas Butter in der Pfanne, gab mein Sammelsurium klein geschnippelt hinzu, ergänzt durch eine Spur Knoblauch. Zuletzt gab ich die alten Spaghetti hinzu, erwärmte sie langsam und tat noch einen dicken Klacks Butter in die Pfanne. Es brutzelte und duftete wunderbar. Ich kippte alles in eine große Schüssel, goss noch etwas chinesische Frühlings-Dip-Soße darauf und machte mich dann, auf meinem Balkon sitzend, begeistert über diese so eben kreierten „Spaghetti speciale“ her. Sie trieften vor Butter, aber da ich von Natur aus ein eher schlechter Futterverwerter war, konnte ich mir diese köstlichen Fettkalorien locker leisten! Ich musste an Erika denken und lachte in mich hinein. Sie mit ihrer Dauer-Diät! Seit ich sie kannte, hatte sie mindestens 12 Kilo zugelegt. Arme Erika. Obwohl sie mir meine üppige Nahrung neidete, waren wir gute Büro-Freundinnen geworden.
Ich zog mich mit dem Ringbuch auf mein Bett zurück, nachdem ich das Geschirr in die Küche gebracht hatte. Wie mochte es wohl weitergehen? Ich war wirklich gespannt darauf. Die nächste Kapitelüberschrift lautete:
Die Zeit im Sonderkindergarten
Samt und sonders sonderlich?
Abgesondert!
Das verhieß nichts Gutes. Frau Mertens berichtete auch von einer ausführlichen neurologischen Diagnostik im Krankenhaus wegen einer Spina bifida occulta und des Verdachts auf eine Veränderung im Wirbelkanal, im Sinne eines „Tethered cord“ , denn ihr kleiner Sohn brauchte über das dritte Lebensjahr hinaus Windeln.
Vor der Aufnahme im Sonderkindergarten der Lebenshilfe schrieb sie:
Den ganzen Sommer über hielt mich der Gedanke an den Sonderkindergarten
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