Miss Carolines verwegener Plan
Fragen, aber ehe er auch nur eine einzige stellen konnte, erhob Miss Denby sich. Sie schwankte ein wenig, hatte sich jedoch gleich wieder in der Gewalt. „Ich muss jetzt gehen. Wird Ihr Diener mich zur Hintertür hinauslassen? Das wäre wohl das Beste. Denn ich möchte nicht, dass einer der Nachbarn mich sieht.“
Da er noch immer konzentriert über alles nachdachte, was sie ihm gesagt hatte, antwortete er nicht sofort.
Caroline machte einen Schritt nach vorn, stolperte über den Rand des Teppichs und wäre gestürzt, wenn Max sie nicht aufgefangen hätte. Zitternd lag sie in seinen Armen.
„Es geht Ihnen nicht gut“, sagte er. „Bitte, setzen Sie sich!“ Er führte sie zu einem bequemen Lehnstuhl, und gehorsam nahm sie Platz. In diesem Zustand konnte er sie unmöglich allein fortgehen lassen. „Wo ist Lady Denby?“, erkundigte er sich. „Seit wann sind Sie in London?“
Sie machte eine hilflose kleine Bewegung mit dem Kopf, so als sei es beinahe unmöglich, diese einfache Frage zu beantworten. „Seit ein paar Stunden. Ich bin allein mit meiner Zofe gereist. Nachdem meine Stiefmutter Lord Woodburys Brief erhalten hatte, sind wir gleich am nächsten Morgen aufgebrochen. Die Fahrt in der Postkutsche war anstrengend, den ganzen Tag und die ganze Nacht … Hier in London habe ich mich dann gleich mit dem Anwalt meines Vaters getroffen, um mich von ihm beraten zu lassen.“
„Sie haben die Postkutsche genommen?“ Er runzelte die Stirn. „Wann haben Sie zum letzten Mal geschlafen?“
„Es muss in Denby Lodge gewesen sein. Aber …“
„Und wann haben Sie zuletzt gegessen?“
„Keine Ahnung. Die Postkutsche hält ja nur, wenn die Pferde gewechselt werden. Und diese Pause ist nicht so lang, als dass man im Gasthof etwas zu essen bestellen könnte. In London habe ich kurz mit meiner Cousine Elizabeth gesprochen und bin dann zu Mr Henderson, dem Anwalt, gefahren. Anschließend war ich noch einmal bei Elizabeth. Sie hat mir ein Glas Wein angeboten. Ich musste ja warten, bis jemand mir Ihre Adresse nennen konnte. Dann bin ich gleich hierhergekommen.“
„Sie bleiben auf diesem Stuhl sitzen, bis ich zurück bin“, befahl Max und wollte in den Flur hinausgehen, um nach dem Diener zu rufen. Der allerdings stand leicht gebeugt direkt hinter der Tür. Zweifellos, weil er gelauscht hatte.
„Besorgen Sie Brot, Käse und Schinken“, forderte Max ihn auf. „Außerdem etwas Brandy und Wasser.“
„Sie brauchen mir nichts anzubieten“, protestierte Caroline, sobald Max die Tür wieder geschlossen hatte. „Ich habe Ihnen schon genug Zeit gestohlen. Jetzt kehre ich in das Haus meiner Cousine zurück und warte dort auf Ihre Antwort. Die Adresse lautet: Lady Elizabeth Russel, am Laura Place.“
Als sie unsicher versuchte aufzustehen, stieß Max sie sanft zurück in den Lehnstuhl. „Miss Denby, ich werde Sie nicht gehen lassen, solange Sie nicht etwas gegessen und getrunken haben. Im Übrigen kann ich Sie sowieso nicht zur Hintertür hinauslassen, damit Sie allein durch die Dunkelheit schleichen wie ein Straßenräuber. Ich hoffe doch sehr, dass Sie nicht ohne Begleitung hierhergelaufen sind. Oder?“
„Ich kann Sie beruhigen.“
„Dem Himmel sei Dank!“
„Bis zum Hyde Park habe ich eine Droschke genommen. Das restliche Stück bin ich zu Fuß gegangen, weil ich nicht wollte, dass Ihre Nachbarn sehen, wie ich vor dem Haus aus der Kutsche steige.“
Sie hatte also doch eine recht beachtliche Strecke allein zurückgelegt. Sicher, Mayfair gehörte zu den Stadtteilen, in denen man auch bei Dunkelheit nicht ständig damit rechnen musste, überfallen zu werden. Doch gerade für eine junge Frau gab es keinen einzigen ungefährlichen Ort in London.
Max stieß einen Fluch aus und stöhnte: „Bereiten Sie anderen Leuten immer so viel Ärger?“
„Ich fürchte ja“, gab sie in einem so schuldbewussten Ton zurück, dass Max lachen musste.
„Nun, ich kann Ihnen versichern, dass Sie keine nächtlichen Wanderungen mehr unternehmen werden“, verkündete er gleich darauf, nun wieder ernst. „Sie werden brav am Feuer sitzen bleiben, sich mit dem stärken, was Wilson gleich bringt, und unterdessen werde ich entscheiden, was zu tun ist.“
Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Lippen. „So gebieterisch, Mr Ransleigh? Man hört gleich, dass Sie der Sohn eines Earls sind.“
Er konnte einfach nicht ernst bleiben. Warum geriet er, wenn es um Miss Denby ging, immer wieder in derart absurde Situationen?
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