Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser
wohl in diesem Städtchen am Fluß kein seltener Anblick.
Sie kamen am pittoresken Angel Inn vorüber, direkt an der Brücke gelegen, und an St. Mary’s Church mit ihren karierten, aus Stein und Schiefer gebauten Mauern. Unmittelbar hinter der Kirche lag das Old White Hart, die uralte Pension, in der Alec ein Zimmer gebucht hatte.
Insgeheim drückte Daisy fest die Daumen und betete in-ständig, es möge nicht plötzlich eine Serie schrecklicher Morde geschehen, und auch Drogenkartelle, bolschewistische Bombenleger oder was auch immer ihr gemeinsames Wochenende vereiteln könnte, sollten außen vor bleiben.
Miss Hopgood hatte ein Zimmer in einem der winzigen
Reihenhäuschen aus Backstein in einer Straße am Ortsrand gemietet – wohl die Hälfte der Einwohner von Henley verdiente sich während der Regatta etwas Geld hinzu, indem sie Privatzimmer anbot. Die Dame des Hauses zeigte sich entsetzt von Botts Zustand, scheuchte ihn hinauf und versprach, Shorts und Hemd seien auf der Wäscheleine im hinteren Garten im Nu trocken. In der Zwischenzeit wollte sie ihm in Miss Hopgoods Zimmer eine Tasse Tee servieren, während Miss Hopgood selbst und ihre Freundin den Tee im Wohnzimmer nehmen sollten.
Der winzige Salon war vollgestopft mit Möbeln. Das obli-gate Sofa und die Ohrensessel waren noch um einen kleinen Tisch und einen Stuhl für die Mahlzeiten des Gastes erwei-tert. Daisy und Miss Hopgood teilten sich eine Kanne Tee, der so schwarz war, daß erst die Milch ihm eine Mahagonifärbung verlieh. Riesige Scheiben Victoria-Sandwich-Cake lagen auf einer Platte.
Miss Hopgood nahm einen Bissen und einen Schluck und
wandte sich dann Daisy zu. »Also, Miss Dalrymple, könnten Sie mir wohl erzählen, was es mit dieser schrecklichen Geschichte eigentlich auf sich hat? Und was sollte das heißen –
Horace sei es vorhin nicht gutgegangen? Ich weiß, mitten im 54
Rennen ist irgend etwas passiert, aber vom Ufer aus habe ich nicht viel erkennen können.«
Daisy kam zu dem Schluß, das Mädchen sei wohl vernünftig genug, um die gesamte Geschichte erfahren zu können.
Also berichtete sie ihr von den ständigen Beleidigungen, von der Sache mit dem Scotch, von Botts Kater und den entsetzlichen Folgen fürs Kurshalten des Bootes.
»Ich verstehe.« Miss Hopgood seufzte. »Ich hab ihm immer und immer wieder gesagt, er solle sich von diesem Kerl DeLancey nicht so reizen lassen. Der ist wahrhaftig ein unangenehmer Zeitgenosse, muß ich sagen. Hoffentlich nehmen Sie mir meine deutlichen Worte nicht übel.«
»Keineswegs. Er gehört wirklich nicht zu meinen Freunden. Unhöflich ist er allen und jedem gegenüber, müssen Sie wissen, nicht nur zu Mr. Bott.«
»Horace hat gehört, DeLancey sei der Nachkömmling in
seiner Familie. Er hat wohl drei wesentlich ältere Schwestern, die ihn bis zum Gehtnichtmehr verwöhnt haben. Die dachten wahrscheinlich, alles, was der liebe Kleine sagt, ist intelligent oder urkomisch.«
»Oder beides«, stimmte Daisy zu.
»Trotzdem, so sehr er auch provoziert worden sein mag, Horace sollte es besser wissen. Er hat Alkohol noch nie gut vertragen, wirklich nicht. Mehr als eine Halbe helles Bier schafft er sonst gar nicht.«
»Sie kennen ihn schon lange?«
»Als Kinder waren wir in Wolverhampton Nachbarn. Sei-
nem Vater gehört der Zeitungskiosk an der Ecke. Wir haben dieselbe Grundschule besucht. Er saß auf der Jungenseite und ich bei den Mädchen, und sobald wir alt genug waren, einander Gesellschaft zu leisten, sind wir zusammen ausgegangen.«
»Aber – verzeihen Sie mir die Neugier – verlobt sind Sie nicht?«
Miss Hopgood streckte ihre nackte linke Hand aus und
blickte kurz auf Daisys Ring, als sie knapp erwiderte: »Das brächte ich nicht übers Herz. Horace wird noch viel erreichen 55
in der Welt. Er wird mindestens Professor. Vielleicht gewinnt er sogar einen dieser Nobelpreise. Ich würde ihn da nur be-hindern. Er braucht eine elegante Frau, eine, die ihm auf seinem Weg helfen kann.«
»Vielleicht haben Sie damit recht«, stimmte Daisy zu, »aber möglicherweise würde eine ›elegante Frau‹ nur seinen Min-derwertigkeitskomplex verschlimmern. Er kommt sich ja wahnsinnig schlecht behandelt vor, da in Oxford. Ich glaube, Sie wären genau die Richtige für ihn. Sie würden ihn unterstützen und verhindern, daß er immer nur seine eigenen Wunden leckt.«
»Er hat die Dinge immer schon viel zu sehr an sich heran-gelassen, wenn Sie verstehen, was ich meine – hat sich alles zu Herzen
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