Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser
mittlerweile menschenleere Anlegestelle zum Ufer.
Unter Rollos Befehl hatte sich der Rest der Mannschaft mit einem Freiwilligen daran gemacht, das Boot aus dem Wasser zu holen. Unter Rufen wie: »Achtung, hinter Ihnen ein Boot!« gingen sie zwischen den Zuschauern hindurch zum Zelt für die Boote. Aller Augen richteten sich mittlerweile stromabwärts, wo der nächste Durchlauf des Rennens gerade begann.
Daisy hatte sich Bott und Miss Hopgood angeschlossen.
Das Mädchen besaß offenbar einen starken Willen und übte einen guten Einfluß auf ihren Freund aus. Dennoch brauchte sie vielleicht Unterstützung, ihren unbeholfenen Liebsten zu 51
vernünftigem Benehmen anzuhalten, vor allem, falls er noch einmal den Weg seines Peinigers kreuzen sollte.
Auf dem Weg zur Brücke kamen sie am Leander-Club
vorüber, um den herum eine menschgewordene Schar Fla-
mingos ihre rosafarbenen Blazer, Käppis, Krawatten und Socken vorführte. Daisy sah, wie die Gebrüder DeLancey mit einem dieser Vögel in das Clubhaus gingen, vielleicht war es Lord DeLanceys Gastgeber auf Crowswood. Sie hoffte,
Cedric hätte Erfolg bei dem Versuch, seinen Bruder, den Honourable Basil, unter Kontrolle zu halten.
Eifrig lenkte sie Botts Aufmerksamkeit in die entgegen-gesetzte Richtung. »Sehen Sie den Schlußstein da in der Mitte der Brücke?« fragte sie. »Bevor ich herkam, habe ich ein bißchen über Henley nachgelesen. Die Köpfe – stromaufwärts auf der anderen Seite gibt es noch einen zweiten – wurden von einer Frau geschaffen, und das im achtzehnten Jahrhundert!«
»Man stelle sich das vor«, sagte Miss Hopgood fröhlich.
»Guck doch mal, Horace.«
Bott knurrte nur etwas Unverständliches.
»Es sind die Köpfe von Isis und Tameses. Geister des Flusses könnte man sie wohl nennen. Ehrlich gesagt, kann ich mich nicht erinnern, welcher Kopf zu welcher Figur gehört.«
»Hast du mir das nicht erzählt, daß die Themse in Oxford
›Isis‹ genannt wird, Horace?« Miss Hopgood ließ nicht locker.
»Ganz genau. Mal wieder eine dieser typischen Methoden, die Bescheidwisser von den ahnungslosen Massen auszugren-zen.«
»Du bist aber heute ein Brummbär, wo ich doch extra hier-hergekommen bin, um dich zu sehen! Na, wenn du erst mal trockene Kleider anhast und es dir gemütlich gemacht hast, wird es dir sicher gleich viel besser gehen.« Ohne ihren festen Griff an seinem Ellbogen zu lockern, wandte sich Miss Hopgood an Daisy und fragte: »Lesen Sie immer über die Orte nach, die Sie besuchen, Miss Dalrymple? Ich muß schon sagen, das ist wirklich eine ausgezeichnete Idee.«
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»Nur, wenn ich darüber schreiben soll.«
Daisy hatte eigentlich an der Brücke umkehren wollen, aber sie wollte kein Wasser auf die Mühlen des überempfind-lichen Bott schütten. Wahrscheinlich würde er sofort vermuten, seine Gesellschaft wäre ihr nicht gut genug, wenn sie sich jetzt von ihnen trennte. Außerdem mochte sie Miss Susan Hopgood gut leiden. »Ich schreibe für Zeitschriften«, erklärte sie.
»Du liebe Zeit, soll das heißen, Sie arbeiten ?«
»Zum Vergnügen«, grunzte Bott.
»Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt«, sagte Daisy fest. »Arbeiten Sie auch, Miss Hopgood?«
»Ich bin Buchhalterin. Dafür wird man wesentlich besser bezahlt als fürs Tippen, sogar besser als eine Stenotypistin, und in der Schule habe ich mich mit Zahlen immer leicht getan. Natürlich nicht ganz so leicht wie unser Horace«, sagte sie voller Zuneigung, »der ist ja ein wahres Genie, anders kann man das nicht nennen. Ach, schau mal, Horace, ist das nicht hübsch?«
Sie blieb mitten auf der Brücke stehen und lehnte sich an die Brüstung, um die Aussicht zu genießen. Stromabwärts lag das ganze Regatta-Gewusel eingerahmt von grünen, baumbestandenen Hügeln. Markisen und Tribünen verdeckten den größten Teil des Rummelplatzes, nur das Riesenrad blieb weithin sichtbar.
»Oooh, Horace, du hast mir ja gar nicht erzählt, daß es auch eine Kirmes gibt!«
»Heute abend gehen wir hin.« Bott lächelte sie zum ersten Mal an. Als aber nach dem Fiasko für die Mannschaft von Ambrose lautes Hallo die Gewinner des nächsten Durchlaufs begrüßte, fügte er düster hinzu: »Jetzt bin ich ja kein Steuermann mehr.«
Wenn er bereit war, sich auf einen Kirmesbesuch einzulassen, dürfte das kühle Bad ihn wohl von seinem Kater befreit haben!
Niemand, dem sie im Weitergehen begegneten, nahm von
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seinem unglückseligen Zustand Notiz. Durchtränkte Wasser-sportler waren
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