Miss Emergency
einen Club gehen will, der Turnverein heiÃt?
Jennys Stimme kommt dumpf aus dem engen Oberteil: »Weil es der beste Club der Stadt ist und man nur einmal gefragt wird.«
Und warum denkt sie, sie kann mir vorschreiben, was ich anziehe?
»Weil du garantiert nichts hast, was dahin passt.«
Ich würde gern widersprechen. Aber die Behauptung, in meinem Kleiderschrank könnte ein einziges Teil mit Jennys Glamourausrüstung mithalten, hält nur ⦠bis zu meinem Kleiderschrank. Klar habe ich für Berlin meine Garderobe aufgestockt. Ich bin im Grunde der Jeans-und-T-Shirt-Typ, aber auf meiner letzten Lübecker Shoppingtour habe ich mutig eingekauft â und Mama hat groÃzügig auch das bezahlt, was sie »für Ãrztinnen untragbar«fand. Doch nichts davon ist so gewagt, dass ich es nicht auch anziehen würde. (Auf die Illusion, mit einem neuen Kleidungsstück werde man automatisch auch zu dem neuen Menschen, der es tragen kann, falle ich schon lange nicht mehr rein.) Also sind meine neuen Sachen zwar bunter und einen Hauch teurer als bisher, aber keineswegs mit Jennys schräger Garderobe vergleichbar. Alles, was ich ausgefallen fand, deklassiert Jenny als durchgefallen. Nur die neuen High Heels finden Gnade vor ihren Augen. Ausgerechnet!
Jenny setzt mir eiskalt ein Ultimatum: »Entweder du ziehst was von mir an und bist in 20 Minuten fertig â oder wir gehen ohne dich!«
Wir? Isa geht mit?! In Isas sonst so aufgeräumtem Zimmer sieht es aus wie nach einem Meteoriteneinschlag. Ãberall liegen Kleider, Schuhe und Taschen verteilt und garantiert gehört nicht ein einziges Teil Isa. Bedrückt sitzt sie auf dem Boden zwischen all den tollen Sachen.
»Hilf mir, Lena! Ich kann das nicht anziehen!« Anklagend hält sie ein schrillgrünes Kleid mit nur einem Ãrmel hoch und fragt: »Wieso um alles in der Welt sollte man so was tragen?«
Ich habe Mitleid und vollstes Verständnis. Um Isa aufzumuntern, mache ich Jenny ein bisschen nach. »Weil wir im Turnverein eingeladen sind und da kommt man nur heute und nur mit einem Ãrmel rein!«
Isa grinst. »Na, dann muss ich wohl. Ist es nicht toll, dass sie uns mitnimmt?!«
Doch, es ist wundervoll und sollte den Kleiderstress wert sein. Ich verstehe nur nicht, wieso Isa so gerne mitwill. Sollten ihr Tanzen und Aufmotzen und angesagte Clubs nicht fremd und unheimlich sein?!
Isa lächelt mich verlegen an. »Ich will doch auch mal was erleben â¦Â«
Ich könnte sie knuddeln! Sie hat völlig recht: Jetzt zwingen wir uns in Jennys wilde Fummel und lassen uns endlich ins Berliner Nachtleben ausführen!
Es dauert 40 Minuten, bis wir Outfits gefunden haben, in denen Jenny uns akzeptabel findet, wir uns aber trotzdem nicht schämen. (Und in denen wir laufen können!) Isa sieht in dem einärmeligen Grünen groÃartig aus â sie sollte sich viel mehr trauen. Ihre Figur ist klasse, auch wenn Isa es schrecklich findet, dass aus dem Kleid »so viel rausguckt«. Sie zupft regelmäÃig den Ausschnitt nach oben, wodurch das Kleid eine sehr seltsame Form bekommt. Aber Jenny kennt kein Erbarmen und zieht Isas Ausschnitt immer wieder rigoros nach unten.
Ich bin nicht ganz so gut weggekommen â finde ich. Das glitzernde Top ist echt nicht mein Stil und der breite Gürtel passt zwar farblich genau zu den schwierigen High Heels (klar, für so was hat Jenny ein untrügliches Auge), aber MIR passt er nicht ganz. Nicht dass ich keine Luft kriege, aber der Gürtel sitzt doch so eng, dass ICH lieber nicht länger sitzen sollte â¦
Jenny kümmert das nicht. »Wieso solltest du dort sitzen?!«, fragt sie entrüstet. »Wir tanzen doch!«
Ich finde mich damit ab. Auch das heftige Make-up, das Jenny uns verpasst hat, ist gewöhnungsbedürftig. Aber ich gebe zu, dass ich von meinem Spiegelbild beeindruckt bin: Ein rotgesichtiges Mädchen sieht hinein ⦠Und eine schmalwangige, katzenäugige Frau blickt zurück. Sie schaut verwirrt, weil sie nicht begreift, wie Jenny das aus ihrem Durchschnittsgesicht herausmogeln konnte â aber sie sieht echt gut aus. Und deshalb sinke ich schlieÃlich glücklich ins Taxi und bin überzeugt, einen groÃen Abend vor mir zu haben. Jennys Rock ist ziemlich gewagt, der Einstieg ins Taxi ein Kunststück. »Also, turnen kannst du mit dem Rock nicht!«, versuche ich
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