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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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einen Scherz. Doch hier versteht Jenny keinen Spaß. Auf der Fahrt zum Club machen Isa und ich uns aus Unsicherheit ein bisschen lustig. Reine Verlegenheit. Wir versuchen ja nur, mit den lahmen Turnvereins-Witzen unser Herzklopfen zu überspielen.
    Die Fahrt durch die nächtliche Stadt ist atemberaubend. Die Straßen sind noch voller Menschen, alles ist erleuchtet. Wir fahren Unter den Linden entlang, am Zeughaus und der NeuenWache vorbei, über den Bebelplatz, links liegt die Staatsoper, rechts die Humboldt-Uni; Isa und ich können uns gar nicht sattsehen. Prachtvolle Gebäude, alt und majestätisch. Auf der einen Straßenseite Studentengewusel, selbst um diese Zeit noch, auf der anderen Seite Luxushotels und flanierende Schickimicki-Touristen. Vor dem Brandenburger Tor biegen wir ab und fahren Richtung Spree. Jenny, die vorne sitzt, überprüft ihr Make-up im Taschenspiegel; offenbar sind wir gleich da. Isa und ich witzeln verhalten vor uns hin, bis das Taxi zum Stehen kommt. Von einem Club ist nichts zu sehen – kein Schild, keine Reklame, nur eine Stahltür, vor der zwei bullige Anzugträger Wache schieben. Aber die Schlange gut gekleideter Menschen vor dem Gebäude verschlägt uns den Atem. Da kommen wir nie rein! Wie peinlich, hier so einen aufgebrezelten Taxi-Auftritt hinzulegen – und dann weggeschickt zu werden. Ich kann nur heftigst die Daumen drücken, dass das mit der Gästeliste stimmt. Jenny zieht lächelnd an der Schlange vorbei und uns hinter sich her. Hoffentlich müssen wir nicht gleich wieder an allen vorbei zurückgehen. Die Leute sehen uns nach, teils bewundernd, teils genervt. Wer sind die, dass die hier reindürfen?! Genauso würde ich auch gucken! Und hoffen, dass diese aufgemotzten Tussis abblitzen …
    Hah! Sie blitzen NICHT ab! Die bulligen Herren öffnen die Stahltür für uns und wir sind drin. Die karge Fassade trügt: Der Turnverein sieht aus wie ein kuscheliges 20er-Jahre-Boudoir. Plüschige Sessel, verschnörkelte Spiegel. Die Musik passt großartig: leicht verkratzte alte Schlager. Während Jenny das schöne Mädchen am Empfangstresen überschwänglich begrüßt, sehen Isa und ich uns um. An der Wand Fotos von Nachtclub-Damen, doch es bleibt geschmackvoll. Ich bin entzückt von den altmodischen Telefonen auf den kleinen Tischchen. Nur warum das Turnverein heißt, bleibt ein Rätsel.
    Jenny geht voraus; im hinteren Teil des Clubs ist es schon ziemlich voll, an der altmodischen Bar herrscht Gedränge. Mit großem Hallo stürzt Jenny sich auf eine Gruppe Mädchen. Isaund ich bleiben etwas verlegen stehen – ich fürchte einen Moment, dass wir beide füreinander das Notdate sein müssen. (Wer hat das noch nicht erlebt? Die Party ist toll, aber man kennt nur einen einzigen Menschen, mit dem man notgedrungen den ganzen Abend plaudert, um sich und ihm vorzumachen, man würde sich bestens unterhalten, während die Gespräche immer gezwungener werden. Das Schlimmste ist, wenn dein Notdate plötzlich noch einen zweiten Anwesenden kennt und dich im Stich lässt – und du dann ganz alleine auf der Party stehst. Na wenigstens das wird mir mit Isa nicht passieren.) Ich setze an, Isa aus Verlegenheitsgründen in ein Gespräch über die Klinik (was sonst?!) zu verwickeln, als Jenny uns wieder wahrnimmt.
    Â»Wo bleibt ihr denn?«, kreischt sie – und alle drehen sich zu uns um. Ehe wir es uns versehen, haben wir Sektkelche in der Hand und sind umgeben von hübschen, schnatternden Mädchen, die uns abküssen. Ich erkenne manche von unserer Einzugsparty wieder, sie nennen mich »Süße« und fragen, wie es mir geht. Ist das wirklich Anteilnahme? (Wissen die echt noch, wer ich bin? Ich weiß nämlich ihre Namen ehrlich gesagt nicht mehr.) Oder ist das nur Small Talk und ich sollte nicht zu viel erzählen? Ich sage »prima«, stelle die unvermeidliche Gegenfrage und höre erstaunlich persönliche Antworten: »Toll, ich habe mich mit meiner Mutter ausgesprochen.« – »Ganz gut, nur diese Bauchschmerzen!« – »Ach, mein Freund hat sich getrennt. Ich habe so viel geheult, dass ich heute Abend einen ganzen Tiegel Concealer verbraucht habe!«
    DIE machen sich offenbar keine Gedanken darum, was »zu viel Information« sein könnte. Ist ihnen egal, wer von den Bauch- und Trennungsschmerzen weiß

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