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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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Aufbruch. Isa öffnete die Tür, lächelte uns verknitterte, übernächtigte Gestalten an und sagte cool: »In den Klamotten könnt ihr aber nicht zur Arbeit gehen, Mädels!«
    In zehn Minuten waren wir umgezogen, abgeschminkt und unterwegs zur S-Bahn. Noch auf dem Heimweg durch das morgendliche Berlin hatten Adrenalin und Begeisterung mir Munterkeit und Durchhaltevermögen vorgespiegelt. Auf dem Weg zur S-Bahn kam die Müdigkeit mit einem Schlag – und die Erkenntnis, dass es kein Pardon gibt und der Tag, koste es, was es wolle, überstanden werden muss, hing an meinen Beinen wie Blei. Auf der Fahrt fielen mir die Augen zu, sodass ich nicht mal dazu kam, eins der von Isa mitfühlend vorbereiteten Brote zu essen.
    Der Morgen ist entsetzlich. Dass ich einen eigenen Patienten habe, bedeutet nämlich nicht, dass ich von den anderen PJ-Aufgaben befreit bin. Und so schiebe ich im Schneckentempo meinen Wagen durch die Gänge, vielmehr lasse ich mich von ihm über die Gänge ziehen. Soviel ich durch meine nur einen Spaltbreit geöffneten Augen überhaupt von den Fluren erkennen kann. Was habe ich mir dabei gedacht, mitten in der Woche derart rücksichtslos zu feiern?! Ich schwöre hoch und heilig, dass so was Unverantwortliches nie wieder vorkommt! Das Blutabnehmen geht heute mehr schlecht als recht – nicht, weil ich es nichtkann, sondern weil ich vor lauter schlechtem Gewissen übervorsichtig bin und lieber dreimal ansetze. Mehrere Patienten murren, ich kann es ihnen nicht verdenken. Frau Klein fragt sogar mitfühlend, ob es mir nicht gut geht. Ich schäme mich. Aber es geht mir echt nicht gut. Manuel ist heute ein Lichtblick; ihm kann ich wenigstens sagen, was ich getan habe. Er lacht und findet es toll. Natürlich bietet er mir sofort an, mich ein wenig auszuruhen – in seinem Bett. Aber auf etwas so Plumpes reagiere ich nicht einmal in einer solchen Notlage.
    Der Schock kommt in der Frühstückspause. All der Glamour des Abends und die entschädigenden Erinnerungen sind plötzlich wertlos – Paul, der bebrillte Streber, verkündet strahlend, es gebe gleich eine Oberarztvisite. Na prima! Ich bin sogar zu geschafft, um in Panik zu verfallen. Ich gebe mich einfach geschlagen. Du kannst einpacken und heimfahren, Lena. Wenn Dr. Thalheim dich so sieht, ist alles aus.
    Noch zehn Minuten bis zur Visite. Jenny legt den Kopf auf den Tisch und verkündet, sie werde einen 7-minütigen Powerschlaf halten. Das kann ich nicht. Wenn mein Kopf auch nur in fühlbare Nähe einer möglichen Schlafunterlage kommt, und sei es die Stuhllehne, werde ich in einen unbezwingbaren Dornröschenschlaf fallen, aus dem mich vor Ablauf des Vormittags kein noch so energischer Tatmensch erwecken kann. Mir muss etwas anderes einfallen. Ruben.
    Ich stürme in die Cafeteria. Mein blauhaariger Engel ist schon da. »Na, Fräulein Notfall«, grinst er. »Wo brennt’s denn?«
    Schonungslos beichte ich meinen Fehltritt. Ruben lacht – und handelt. In Windeseile baut er auf seinem Tresen eine Notversorgung auf: saure Gurken, Salzstangen, ein Glas Tomatensaft. Hastig schlucke ich alles durcheinander herunter. Noch sieben Minuten. Ruben, heute im Cowboyhemd, brüht inzwischen Kaffee auf und mischt ein entsetzliches Gebräu: In eine halbe Tasse Kaffee quetscht er eine Zitrone, dann gießt er das Gemisch mit Cola auf. Er legt eine Schmerztablette neben die Tasse und sagt: »Danach schaffst du die Visite, versprochen!«
    Ich probiere todesmutig – und stelle das schäumende Gebräu angeekelt zurück. Nie im Leben kann ich das trinken. Ruben lächelt.
    Â»Weißt du, was Prostaglandine sind?«
    Beim besten Willen, ich kann nicht jetzt schon Fachfragen beantworten! Aber in mir ist dieser Medizinstudenten-Reflex, der mit soldatischer Disziplin bis zur letzten Fachfrage brav Antworten herausschießt, solange noch ein Rest Stimmbandvibration übrig ist. »Gewebshormone«, flüstere ich. »Zuständig für die Weiterleitung von Schmerzen.«
    Ruben lacht wieder. »Der Kopf funktioniert ja noch. Koffein und Zitronensäure blockieren das Enzym, das sie freisetzt. Außerdem verstärkt Koffein auch die Wirkung der Schmerztablette. Trink das und du bist wach und schmerzfrei!«
    Ich setze die Tasse an – halb, weil ich überzeugt bin, halb, damit Ruben aufhört zu reden. Noch fünf Minuten.

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