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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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Feierabend schleiche, komme ich wieder an Zimmer 15 vorbei. Nicht zum ersten Mal heute – aber zum ersten Mal mit offenen Augen. Ich habe Frau Klein heute Morgen nur kurz begrüßt und kaum zwei Worte mit ihr gewechselt. Jetzt kommt es mir vor, als sei sie bei der Visite bedrückt gewesen. Ich trete an ihr Bett. Frau Klein schläft, sie atmet flach und langsam, mühevoll. Ich sehe auf sie hinunter und habe den Eindruck, als sei sie wieder ein bisschen kleiner geworden. Ihre Hand liegt auf der Decke. Irgendwann hat diese Hand zugepackt, Ball gespielt, in ihrem langen Lehrerleben sicherlich Tausende von Seiten beschrieben. Jetzt liegt sie auf der Decke, knitterig und kraftlos, voller Altersflecken. Vorsichtig lege ichmeine Hand auf ihre. Frau Klein wacht nicht auf. Ganz leise gehe ich aus dem Zimmer. Morgen muss ich mir mehr Zeit für sie nehmen.
    Ich eile den Gang hinunter, meine Freundinnen warten sicher schon. Dr. Thalheim tritt aus seinem Büro; er ist in der Jacke, offenbar macht er heute auch mal Feierabend. Ich drossle das Tempo, um wie zufällig neben ihm herzugehen. (Ist doch ganz normal, wir haben denselben Weg und gehen in derselben Geschwindigkeit.) Und siehe da, er spricht mich an.
    Â»Haben Sie Ihren Bericht abgeliefert?«
    Ich bejahe, verschweige aber, dass Dr. Ross ihn nicht noch mal gelesen hat.
    Â»Sie müssen schneller werden«, mahnt er. Ich nicke. Na und, dann ermahnt er mich eben – aber er spricht mit mir, völlig normal und sehr nett! Und dann sagt er, ohne mich anzusehen: »Wenn das Vorbereitungszimmer wieder mal so schlimm überfüllt ist, können Sie im Notfall auch mein Büro benutzen.«
    Mir bleibt die Luft weg! Er hat mich in sein Büro eingeladen! (Nur mich? Alle Anfänger? Alle Anfängerinnen? QUATSCH, Lena! Sein Büro hat EINEN Schreibtisch und EINEN Besuchertisch. Wo sollten die denn alle sitzen? Auf dem Teppich zu seinen Füßen? Bestimmt hat er nur dich eingeladen!) Ich weiß, dass ich eine satte tomatenrote Farbe angenommen habe – deshalb sehe ich nicht auf, als ich mein glückliches »Danke« ausatme. Auch er sieht weiter geradeaus.
    Â»Wenn ich nicht da bin«, fügt er hinzu.
    Klar. Irgendwie musste er das ja einschränken, er kann mich immerhin nicht auffordern, von nun an mit ihm gemeinsam im Oberarztbüro zu arbeiten. (Tut es ihm jetzt leid? Überlegt er gerade, dass er nun Tag und Nacht sein Büro besetzen muss, damit ich sein Angebot nicht annehmen kann?)
    Â»Natürlich«, antworte ich.
    Er schaut rüber und lächelt. »Bis Sie mit dem Schreiben der Berichte sicherer sind.«
    Okay. Er verkauft es als zeitlich begrenzte und meiner Unerfahrenheitgeschuldete Fördermaßnahme. Aber eingeladen hat er mich trotzdem. Vor dem Eingang warten Isa und Jenny. Hallo, hier komme ich! Neben dem Oberarzt, ins Gespräch vertieft. Beide sehen her. (Danke! Normalerweise schauen in den guten Momenten, in denen man etwas Unglaubliches locker als alltäglich verkaufen will, immer alle weg.)
    Thalheim nickt ihnen zu. »Einen schönen Abend«, wünscht er mir und ich antworte für alle hörbar: »Ihnen auch. Und Danke noch mal.« Dann steigt er in seinen VW und ich schreite zu den Mädels – und bemühe mich um das lässige »Ist doch nichts dabei«-Gesicht, während der Stolz wie Solariumbräune auf meiner Haut strahlt.
    In der S-Bahn sind wir alle vergnügt – ich wegen meiner Adelung zum besonderen Schützling des Oberarztes und Isa genießt sicher ihr Geheimnis. Vielleicht hat sie ihren Auserwählten eben noch auf dem Gang getroffen? Aber warum ist Jenny so glänzender Laune? Keine Spur von den üblichen Feierabend-Verwünschungen gegen Schwester Klara!
    Als ich nachfrage, lächelt sie geradezu diabolisch: »Ich habe sie besiegt!« Wie, das lässt sie sich nicht aus der Nase ziehen. »Ihr werdet schon sehen!« Doch sie wirkt beunruhigend zufrieden.
    Bester Laune machen wir Pläne für den Abend – Pizza und DVD oder Hotdogs und Kino, Jenny will raus, Isa will Gemütlichkeit. Dann lenkt Jenny plötzlich ein, sie sieht erschrocken aus.
    Â»Vielleicht ist es doch besser, wir machen was zu Hause, dann können wir nebenbei noch ein ganz klein wenig … lernen.«
    Beinahe hätte sie schon wieder vergessen, uns über die Buschfunk-Nachrichten zu informieren: Morgen gibt es eine

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