Miss Emergency, Band 4: Miss Emergency , Operation Glücksstern (German Edition)
tagelang nichts anderes zu tun als Lesen-Denken-A/B/C/D/E-Ankreuzen. Und das ohne Ablenkung; Isa und ich erlauben nicht mal, dass sie nebenbei Musik hört. Weil Jenny dann mitsingt und wir dabei partout nicht denken können.
»Komm, ich helf dir«, biete ich an und nehme ihre Stifthand wie eine Altenheimpflegerin, die einem Hundertjährigen den Löffel führt. »Du musst nur die richtige Antwort sagen, dann helfe ich dir, die zwei Strichlein zu malen.«
»A?«, fragt Jenny. Ich habe auch A angekreuzt, bin mir aber sicher, dass Jenny nur geraten hat. Als ich nicht gleich reagiere, ändert sie ihre Meinung tatsächlich in »Nein, B!« … und noch eine Sekunde später in »Quatsch, C!«
Ich setze das Kreuz bei A und sehe sie strafend an. »Es liegtnicht an deiner Hand, meine Liebe! Du befiehlst ihr nur nicht Ankreuzen HIER, sondern Ankreuzen irgendwo – und da bleibt ihr nichts anderes übrig als Befehlsverweigerung.«
»Ich hab doch A gesagt!«, empört sie sich. »Mein Gefühl war richtig – und das ist das Wichtigste«, erklärt sie zufrieden. »Ich muss also nur meiner Intuition vertrauen.«
Damit steht sie vom Tisch auf, um noch zwei Stunden mit Felix zum Baden zu fahren, bevor wir am Nachmittag zur PJ-Fortbildung der Gynäkologie müssen.
Eigentlich wäre das der Moment für den inneren Schweinehund, sich knurrend in meinen Knöchel zu verbeißen. Schließlich habe ich gewusst, dass es Antwort A ist – und Baden war ich in diesem Sommer überhaupt noch nicht. Aber ich löse den Test zu Ende. Nicht, weil auch Isa tapfer durchhält. Nicht, weil ich mit meinem Tagesergebnis unzufrieden wäre. Sondern weil unmittelbar, bevor Jenny geht, das Telefon klingelt. Alex.
»Ich habe gehört, dass gerade eine Schwimm-Expedition zum Badeschiff aufbricht«, sagt er – und bevor ich erklären kann, dass ich die Arbeit jetzt lieber nicht unterbrechen sollte, setzt er hinzu: »Aber weil du in zwei Zwischen-Lern-Stunden sicher nicht abschalten kannst und es dort tagsüber sowieso zu voll ist, dachte ich, wir fahren lieber heute Nacht hin.«
Ich mache einen winzigen Luftsprung auf der Stelle. Nein, ich schnappe nicht jedes Mal über, wenn mich jemand zum Baden einlädt. Aber es ist einfach toll, dass jemand weiß, wie ich bin – und das vollkommen in Ordnung findet.
Wir verabreden uns für nach dem Sonnenuntergang und ich schwebe an den Küchentisch zurück, um im Nullkommanix den Bogen fertig auszufüllen.
Bevor ich zur Gyn-Fortbildung fahre, empfehle ich Isa, in den zwei Nachmittagsstunden, in denen sie NICHT mit uns im Seminar sitzen muss, ein wenig in die Sonne zu gehen. Sie ist so blass.
Isa schüttelt den Kopf. »Ich kann nicht, Lena. Ich hab viel zu wenig geschafft in den letzten Tagen.«
Okay, jetzt muss die strenge Tante Lena doch mal ein Machtwort sprechen. Ich setze mich wieder zu ihr; meine überarbeitete Freundin ist tausendmal wichtiger als Dr. Zhōus Fortbildung. Den Einsatz von Wehenhemmern kann ich auch nachlesen.
»Du stresst dich zu sehr«, sage ich. »Wenn du dir nicht zwischendurch Ruhe gönnst, wird es nur immer schwieriger.«
Unter ihren Augen sind tiefe Schatten. Oliver-Twist-Schatten. Mädchen-mit-den-Schwefelhölzchen-Schatten.
»Nein, Lena«, antwortet sie. »Wenn ich einen Tag konzentriert lernen könnte, würde ich mich wieder fangen. Mir hilft es nicht, Pausen zu machen; mir hilft es, meinen Plan zu erfüllen. Das beruhigt mich: zu wissen, dass ich im Zeitplan bin.«
Ich weiß, dass es einen schrecklich nervös machen kann, zu sehen, dass man sich überschätzt hat. Destruktiv-nervös. Aber Isas Plan war gut. Straff, doch nicht ZU voll. Ich habe meinen Plan nach Isas ausgearbeitet – und ich liege nicht zurück.
»Ich weiß einfach nicht, was diesmal los ist«, sagt sie, »mir wird richtig schlecht vom Arbeiten.«
Ich möchte sie umarmen und ins Bett stecken und ihr ein Bilderbuch vorlesen. Wenigstens das erste kann ich tun. »Du hast Angst. Aber das musst du nicht. Du warst immer die Beste.«
Isa macht sich los. »Nein, Lena, das ist es ja. Ich hab Angst, dass ich es nicht schaffe, WEIL ich nicht mehr lernen kann. Als ob mein Körper mich plötzlich im Stich lässt.«
»Ich kann dir heute Abend ein bisschen Stoff vorlesen«, schlage ich vor. »Dann kannst du dich mal hinlegen oder in Ruhe essen – und musst trotzdem nicht das Gefühl haben, du vertrödelst Zeit.«
»Danke«, sagt sie, »aber ich lerne nicht gut auditiv. Ich bin der visuelle Lerntyp. Und vom Essen
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