Miss Emergency, Band 4: Miss Emergency , Operation Glücksstern (German Edition)
erwartet, dass man derart angemessen gekleidet erscheint. Aber kaum jemand besitzt schon einen, denn kein PJler trägt seinen eigenen Kittel – nicht nur, weil es affig wäre, sondern weil jedes Krankenhaus nun mal einen eigenen Stil hat. Die Leihkittel des Krankenhauses, die wir hier jeden Tag getragen haben, sind in der Mündlichen allerdings nicht erlaubt. Die meisten Prüflinge kaufen sich daher extra einen für diesen Anlass – den sie nie wieder brauchen werden, vorausgesetzt, sie bekommen eine Anstellung. Dann werden sie nämlich wieder die Kittel tragen, die das jeweilige Klinikum ihnen stellt und ihre eigenen höchstens aus Nostalgie noch mal anziehen.
Es ist also ein Prüfungs-Kittel. Einer zum Aufheben. Und er passt wie angegossen.
An der Brusttasche ist etwas eingestickt. Weissenbach steht da. Ein Stück eingerückt. Davor ist ein bisschen Platz. Gerade genug für zwei Buchstaben und einen Punkt.
Ich drehe mich in meinem neuen Kittel vor dem kleinen Spiegel und sage einmal schnell: »Guten Tag, sehr geehrte Prüfungskommission, mein Name ist Lena Weissenbach. Und nun stellen Sie ruhig Ihre Fragen«. Weil ich so professionell aussehe, dass man mir das Bestanden einfach geben MUSS. Was soll ich sonst werden?! Ich bin für diesen Kittel gemacht.
In den Papierfetzen auf dem Fußboden leuchtet ein andersfarbiger Zettel, den ich angesichts der Schleifenkunst und in meiner Neugier übersehen haben muss.
Ich hebe ihn auf. Und erkenne die Schrift. Nicht, dass es noch Zweifel gegeben hätte, wem ich dieses Geschenk verdanke.
Er hat nie viele Worte gemacht. Alles Gute, T, steht da einfach, mehr nicht.
Alles Gute. Für mein neues Lebensjahr, die Prüfung, für mich.
Es braucht auch nicht mehr Worte.
Ich spaziere in meinem Kittel durch die Straßen nach Hause;mit meiner Geranie auf dem Arm sehe ich sicher aus wie der verrückte Professor – aber es ist mir vollkommen egal, ob die Spätsommernachtspassanten mich seltsam ansehen.
Ich kann nicht sagen, ob ich mich über irgendein anderes Geschenk heute so sehr gefreut habe wie über diesen Kittel. Denn er bedeutet: Ich werde Ärztin. Eine, die einen Kittel braucht. Auch wenn der nur einen einzigen Tag getragen werden sollte und danach als Erinnerung im Schrank hängt, bis ich meine eigene Praxis eröffne.
Tobias glaubt daran.
M eine Zukunft hängt davon ab, wie viel ich jetzt noch schaffe«, sagt Isa, als ich sie nach neun Stunden Lernen zum Arbeitsende überreden will. Sie schlägt ein neues Buch auf, obwohl sie schon Augenringe hat wie eine Comic-Ganovenmaske.
Allmählich mache ich mir Sorgen um meine Freundinnen. Mehr als in allen Lernwochen zuvor. Isa lernt zehn Stunden am Tag. Trotz des Hormonchaos, das ihr deutlich zu schaffen macht. Sie fährt am Wochenende nach München, um sich Krankenhäuser anzuschauen – eins, in dem sie entbinden möchte und ein anderes, in dem sie sich um eine Facharztstelle bewerben will – und ich weiß, dass sie es sich auch dort nicht erlaubt, einen einzigen Tag lang mal kein Lehrbuch aufzuschlagen.
Jenny dagegen scheint kaum noch konzentriert zu arbeiten. Zumindest nicht für das Examen. Stattdessen arbeitet sie an ihrer Beziehung. Das zumindest behauptet sie, wenn sie Felix dreimal am Tag anruft.
Felix kommt weiterhin nach der Arbeit zu uns und fährt morgens von hier aus ins Labor. Wenn er abends ausgehen möchte, erklärt Jenny, dass ihr Lernpensum das nicht zulässt – geht dann aber doch mit, bis beide gemeinsam wieder nach Hause kommen.
»Sie wird es kaputt machen«, sagt Alex leise, nachdem wir einen Abend mit den beiden in einer Bar verbracht haben, an dem Jenny Felix wieder keine einzige Minute allein ließ.
Ich widerspreche, so energisch ich kann. Aber ich befürchte dasselbe.
Es ist Isa, die es endlich wagt, Jenny darauf anzusprechen. Vielleicht haben die Hormonschwankungen bewirkt, dass sie sich plötzlich traut, ihre Meinung zu äußern, auch wenn sie unbequem ist. Ich habe Isa noch nie so rigoros erlebt.
»Wenn du noch eine Woche so weitermachst, wirst du alles verlieren, Jenny«, sagt sie mit nie gehörter Vehemenz. »Du arbeitest nicht mehr, weil du Felix beaufsichtigst wie einen Schwerverbrecher. Und das beides wird dazu führen, dass du durch die Prüfung fällst und Felix sich am Ende noch von dir trennt.«
Jenny starrt sie an. Dann geht sie und knallt die Tür zu.
Doch in dieser Nacht schläft Felix nicht bei uns.
»Ich hab einen Riesen-Fehler gemacht«, flüstert Isa wenig später
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