Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
Groß, dunkel, braun gebrannt, er sieht ein bisschen müde aus, doch seine Augen lächeln, als er mich sieht. Ich verliere den Halt, den Boden unter den Füßen. Nein, ich falle nicht. Aber mein Herz rast in meinem Hals, dass es wehtut, ich kriege keine Luft mehr.
Tobias.
»Hallo«, sagt er. Seine warme Stimme. »Wie geht’s dir?«
Schlecht.
Herrlich.
Ich kann es nicht fassen, dass du da bist. Ausgerechnet jetzt. Als ich aufgehört habe, auf dich zu warten. Sag was, Lena!
Es ist wie immer, ich erinnere mich. In seiner Gegenwart habe ich meist nur einen Bruchteil dessen herausgebracht, was ich eigentlich sagen wollte.
»Ganz gut.« Mehr kommt nicht. Kein: Warum kommst du jetzt erst? Kein: Du hast mir gefehlt. Bis gestern.
Wie kann es sein, dass du dich ihm so verbunden gefühlt hast, als er 10 000 Kilometer entfernt war – aber jetzt, da du vor ihm stehst, fühlt es sich an, als seien die zwei Meter Entfernung zwischen euch nicht mal in Gedanken überbrückbar?
Ich habe in meiner Fantasie so viele Gespräche mit ihm geführt. Und jetzt bringe ich nicht ein einziges Wort heraus.
Alex … ist mein nächster Gedanke. Was mache ich denn jetzt? So, als wäre schon völlig klar, dass jetzt, da Tobias zurück ist, nichts anderes mehr gilt.
Ich muss gehen. Sobald meine Beine mich wieder tragen. Tobias lächelt. Einfach so. Ich kann hier nicht bleiben, ihn ansehen.
Meine Stimme ist so leise, dass ich sie selbst kaum hören kann. »Ich muss gehen«, sagt sie.
Er nickt, ruhig. »Ich würde mich freuen, wenn du dich meldest. Irgendwann.«
Er geht an mir vorbei in die Klinik. Um diese Zeit. An der Tür dreht er sich noch einmal um. »Es ist so schön, dich zu sehen.«
Ich kann nichts antworten. IHN zu sehen, ist unglaublich. Und das ist schrecklich. Mein Herz rast, ich könnte losweinen, jetzt und hier. Warte nur, bis er verschwunden ist.
Ein Stunde laufe ich durch die Stadt. Seine Stimme in meinen Ohren, sein Lächeln im Kopf.
Alles ist wieder da.
Ich kann nirgendwohin gehen. Nicht nach Hause, wo meine Freundinnen warten. Nirgendwohin, wo ich mit mir allein bin. Und schon gar nicht zu Alex.
Als die Kälte von meinen Füßen bis zu den Knien hochgekrochen ist, weiß ich, wohin. Ich drehe um und gehe zurück zur Klinik.
Ich weiß, wo er ist. Im Büro von Dr. Al-Sayed brennt noch Licht, warm scheint es hinaus auf den leeren, stillen Flur.
Ich kann nicht hineingehen, warte am Ende des Flures, sehe hinaus in die Nacht. Sein Wagen steht da. Wie oft habe ich von hier oben nach ihm Ausschau gehalten.
Ich gehe wieder hinunter auf den Parkplatz. Bin unschlüssig,ob ich wirklich hier auf ihn warten soll, wie früher. Und rühre mich doch keinen Zentimeter vom Fleck.
»Lena!« Mit einem Schritt ist er bei mir. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich so friere. In der nächsten Sekunde hat er seine Jacke um mich gelegt. Der vertraute Geruch umhüllt mich. Seine Arme halten mich fest.
Lass los, lass mich los. Halt mich nur noch eine Million Jahre.
Die Bewegung, mit der ich seinen Arm abstreife, tut mir weh bis ins Herz.
»Tobias«, sage ich. »Ich habe jemanden.«
Eine Ewigkeit streicht dahin, eh er antwortet. »Ich freu mich für dich.«
Er sieht mich an, sein Lächeln ist traurig. »Ich habe ein bisschen damit gerechnet, Lena. Nur deswegen habe ich mich nicht gemeldet. Damit du loslassen kannst, wenn du möchtest.«
Du hättest vor einer Woche zurückkommen müssen, Tobias. Es ist nicht schlimm, dass ich zwei Monate nichts von dir gehört habe. Ich wollte nicht loslassen. Bis vor einer Woche.
Ich habe erst eine Hand von der Brüstung gelöst. Ich hänge zwischen Himmel und Erde, das Seil greift noch nicht. Ich könnte mich wieder festhalten an dir. Oder fallen und sehen, ob das Seil wirklich da ist.
Du kommst zu spät. Und zu früh.
Ich weiß nicht, wie ich es nach Hause schaffe. Ohne Boden unter den Füßen.
Die Nacht ist schrecklich. Immer wieder schlafe ich aus purer Erschöpfung ein, immer wieder weckt mich mein rasender Herzschlag.
Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich weiß nicht mal, was ich mir wünsche. Nur eins steht fest: Ich muss mit Alex sprechen. Und das erscheint mir wie die schwerste Aufgabe meines Lebens.
Alex, der mich durch die Berliner Nächte getragen hat, der die Füße auf das Armaturenbrett legt, während eine Erstfahrerin seinen geliebten Wagen ahnungs- und rücksichtslos über nächtliche Parkplätze hoppeln lässt, der in derselben Sekunde an dasselbeLied denkt wie ich.
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