Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
Neugeborene zu berühren. Sie brüllt immer weiter und holt zwischendurch Luft, als ob das Geschrei sie mächtig anstrengt; doch offenbar ist das genau richtig, der Arzt lächelt nur. Ganz vorsichtig führe ich die Messung durch. 34 Zentimeter. Normal. Prima. Wundervoll! Der Arzt nickt zur Babywaage. Ich soll? Ich darf?
Als ich die Kleine auf dem Arm habe, kommen mir fast die Tränen. Sehr professionell, Lena. Du wirst eine spitzenmäßige Geburtshelferin abgeben. (»Äh, es ist ein Junge, glaube ich. Ich seh grade so verschwommen.«) Ganz behutsam lege ich die Kleine auf die elektronische Babywaage, 3304 Gramm. Der Kinderarzt steckt seinen Stift ein, sagt »sehr schön« und ist offenbar fertig. Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mir hier noch extralange zu schaffen machen, nur um das Baby noch ein bisschen ansehen und halten zu können.
Luis, die männliche Hebamme, tritt zu uns und nimmt die Kleine auf den Arm. Er bedankt sich beim Kinderarzt und trägt das Baby zu seinen Eltern hinüber. In der Decke des Neugeborenen muss ein Magnet versteckt sein, denn ich tapse hinter ihm her wie fremdgesteuert. Luis legt Frau Perkins das Baby in den Arm.
»Hallo«, sagt sie leise. Der Schreimann ist immer noch mucksmäuschenstill und starrt sein Kind an, als hätte es ihn für immer zum Schweigen gebracht.
»Suraya«, sagt Frau Perkins und ich brauche eine Sekunde, um zu kapieren, dass das der Name der Kleinen sein soll. Aber – ganz abgesehen davon, dass man niemals niemals niemals mit einer frisch entbundenen Mutter im Kreißsaal Streit anfangen sollte – in diesem Moment kommt mir der blumige Name gar nicht doof vor. Ich habe wohl die rosa Baby-Rührungs-Mädchen-Brille auf.
»Suraya Perkins«. In drei Jahren steht das mit Edding in ihre Kindergartentasche geschrieben, in acht Jahren malt sie es inSchönschrift auf ihre Schulhefte, in dreißig Jahren ist das vielleicht ins Programmheft einer Opernpremiere gedruckt oder in das schicke Werbeschild einer Anwaltskanzlei graviert. (Denn eins steht ja wohl fest: Bei so einem Namen braucht man Schilder!)
»Tut mir leid, Frau Weissenbach«, unterbricht Luis mein Sinnieren, »aber die Gynäkologin ist schon weg. Und Sie wollen ja schließlich keine Hebamme werden.« Alles klar. Ich darf nicht bleiben. Es gibt ja auch rein gar nichts für mich zu tun hier.
Brav, aber schweren Herzens verabschiede ich mich – wir sehen uns ja später zur Visite. Frau Perkins wird sicher noch eine Stunde in Luis’ Obhut im Kreißsaal bleiben und die kleine Suraya zum ersten Mal anlegen.
»Schade, dass ich zu spät war«, seufze ich, als ich gehe. »Ich hätte so gern eine Geburt erlebt.« Luis lächelt. »Die Zeit ist doch auf Ihrer Seite«, sagt er. Ja, er ist wohl wirklich ein Hippie. Aber recht hat er.
Wenn dir jetzt als Erstes eine Schwangere entgegenkommt, Lena, orakele ich auf dem Flur, dann wirst du spätestens morgen schon selbst jemanden entbinden.
Leider begegnet mir zuerst Pflegedienstleiterin Kathi. Mit der Laune und Geschwindigkeit eines angeschossenen Nashorns ist sie auf dem Weg zu Schwester Evelyn, die offenbar wieder eine Anweisung getroffen hat, ohne Rücksprache mit dem Stationsdrachen zu halten. Ich ducke mich schnell vor dem Kreuzfeuer. Doch unmittelbar hinter Kathi tritt eine hochschwangere Frau aus dem Untersuchungsraum 2. Ehrlich, Lena, hier braucht es kein Orakel, um zu wissen, dass du in diesem Tertial mehr Babys auf die Welt holen wirst, als du bisher überhaupt je gesehen hast. Wenn auch vielleicht nicht gleich morgen – so weit kann man meinen Orakeln eigentlich immer trauen.
Am Nachmittag findet sich – oh Wunder – Dr. Seidler wieder ein, um mit uns auf Visite zu gehen. »Na, haben Sie sich schon eingelebt?«, fragt sie locker, als sei es ganz normal, dass SIE nichts zu unserer Eingewöhnung beiträgt. Aber andererseits – wir sind keine Anfänger mehr, die an die Handgenommen werden müssen. Wir nicken alle und rapportieren, womit wir die ersten anderthalb Arbeitstage zugebracht haben – und weil Jenny, Johanna und Patrick nur von Punktionen, postoperativer Betreuung und Schreibkram zu berichten haben, spiele ich meine eigenen Erlebnisse ein wenig runter. Trotzdem: Dass ich heute bei einem APGAR-Test assistieren durfte, entlockt meinen Mit-PJlern Neidlaute. Außer Patrick. Aber der mag wohl eigentlich keine Babys und ist nur wegen der schönen Kittel hier.
Die Visite führt uns zuerst auf die allgemeine Gynäkologie. Die meisten
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