Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
Patientinnen, die hier liegen, leiden an gut- oder bösartigen Erkrankungen der weiblichen Organe, die operative Eingriffe erfordern. So weit die sachliche Umschreibung. Und, ja, bei manchen ist die anstehende OP nur ein Routineeingriff. Frau Müller erwartet eine Ovarialzystenextirpation, eine Eierstockzyste muss entfernt werden. Frau Niedler lässt eine Tubenligatur durchführen, bei der zur Sterilisation die Eileiter verschlossen werden. Aber nicht wenige Frauen, die wir besuchen, sind Krebspatientinnen.
»Mammakarzinom«, sagt Dr. Seidler in Zimmer 4 und Frau Rühlemann, eine etwa Fünfzigjährige mit kantigem Gesicht, nickt dazu. »Gebärmutterhalskrebs«, sagt die Stationsärztin ebenso gefasst über die etwas jüngere Patientin im nächsten Zimmer. »Wir werden eine Hysterektomie vornehmen. Frau Uhle ist gerade erst angekommen. Möchte jemand von Ihnen für sie da sein?«
Was für eine Frage! Jeder, der der blassen und sichtlich nervösen Frau in die Augen schaut, würde ihr gern helfen und ihr die Angst nehmen. Aber ich melde mich nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, nicht die richtige Ärztin für Frau Uhle zu sein, nicht die Unterstützung, die sie braucht. Denn in meinem Bauch ballt sich in diesem Moment die gleiche Angst, die ich in ihren Augen sehe. Frau Uhle muss jemand betreuen, der sie mit grenzenlosem Optimismus unterstützt, der alles, was schiefgehen könnte, so überzeugend ausblenden kann, dass die blasse Frau Mut fasst. Ich sehe Jenny an. Und sie meldet sich. Dr. Seidler nickt.
»Keine Angst«, lächelt Jenny Frau Uhle an. »Ich bin der natürliche Feind jeder Krebserkrankung. Meine letzte Krebspatientin ist fast allein durch meine Anwesenheit geheilt worden.« Das stimmt nicht. Und das Schicksal der Magenkrebspatientin Paula, die Jenny über zwei Tertiale betreut hat, ist ihr sehr nahegegangen. Auch Frau Uhle zieht skeptisch die Oberlippe hoch und wirft der Stationsärztin einen fragenden Blick zu. Dr. Seidler sagt nichts zu dieser etwas plumpen Verharmlosung, aber Jenny erkennt selbst, dass der Tonfall nicht ganz stimmte, und wird ernst. »Okay, Blödsinn«, bekennt sie. »Es sind eine Menge miese Sachen zu erwarten, schmerzhafte Untersuchungen und eine OP, vor der jeder Angst hätte … Aber ich wette, wir werden den Scheiß los.« Jenny wirkt entschlossen. Und Frau Uhle nickt endlich. Sie wirkt wenigstens ein klein wenig zuversichtlicher. War ich jetzt feige, dass ich Jenny die Patientin überlassen habe? Oder weise?
Nach der allgemeinen Gynäkologie wechseln wir auf die Perinatalabteilung und besuchen die werdenden Mütter und die Wöchnerinnen, die frisch entbunden haben. Ich bin ganz zappelig, als wir uns dem Zimmer von Frau Perkins nähern.
Nadja Perkins ist allein und döst erschöpft vor sich hin. Der Wickeltisch im Zimmer deutet darauf hin, dass die kleine Suraya rund um die Uhr bei ihr bleiben darf, momentan ist das Baby aber wohl im Versorgungszimmer. Dort werden die Kleinen gewickelt, gewaschen und gewogen – von den Schwestern oder auch von den Eltern. Der Schreimann ist ebenfalls nicht da, vielleicht lässt er sich gerade von einer Schwester das Windelanlegen zeigen. (Ich hoffe für die helfende Schwester – aber noch mehr für die kleine Suraya –, dass er seine Stimmgewalt noch nicht wiedergefunden hat.)
»Bitte«, sagt Dr. Seidler und deutet zu mir. Ich bin kurz verwirrt. Was erwartet sie? Die Stationsärztin sieht ebenso irritiert zurück. »Sie haben sie doch aufgenommen.« Wie hat sie das erfahren? Davon habe ich vorhin nichts erwähnt. Dr. Seidler zeigt noch einmal auffordernd zum Krankenbett. Soll ICH die Visite durchführen? Ich bin nicht darauf vorbereitet. Wie denn? Hätteich auf eigene Faust zu Frau Perkins gehen und ein paar Untersuchungen durchführen sollen? Ich nehme mir doch nicht selbst eine Patientin!
Aber Dr. Seidler wartet. Also greife ich nach der Akte und verschaffe mir schnell einen Überblick, während ich versuche, in meinem Kopf die nötigen Lehrbuchseiten aufzublättern. Frau Perkins’ Temperatur und Blutdruck sind in Ordnung. Ich weise auf die Thrombosegefahr hin und bitte sie, uns über Schlaflosigkeit, Angstzustände oder Verwirrung sofort zu informieren, da das Zeichen einer Schwangerschaftspsychose sein könnten. Dann erkläre ich die Nachsorgeuntersuchungen, der sich Frau Perkins noch unterziehen muss – die Wundheilung der Gebärmutter muss kontrolliert werden – und bin fertig.
»Glück gehabt«, lächelt
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